Dies
ist der Bericht einer jungen Frau, Camilla, die einen Job im Callcenter
der Kirby Coorporation annimmt und dort den typischen
Telefonistinnen-Klischees begegnet. Natürlich sollen die
Mitarbeiterinnen ihren Opfern durch hinterlistige Fragen und
Irreführungen Termine für Probevorführungen aufschwatzen, natürlich ist
der Kirby, den sie verkaufen, eine völlig überteuerte Höllenmaschine und
selbstverständlich verdienen die Telefonistinnen alle einen Hungerlohn.
Für jeden abgemachten Termin erhalten die Mädchen ganze fünf Euro
Prämie und wer am Ende des Monats die meisten Termine abgemacht hat, kriegt eine "geheimnisvolle!" Sonderprämie obendrauf.
“Die Telefonistin, die die meisten Termine ausmacht, bekommt als Prämie eine Schachtel Schmelzkäse und acht Euro fünfzig brutto.” Irgendetwas sagt mir, dass das Wort ‘brutto’ an diesem Ort noch etwas anderes bedeutet als das Gegenteil von ‘netto’. Ich rieche Blut.
Es scheint, dass Camilla die einzige ist, die das ganze Theater durchschaut, während sich die anderen ergeben davon einlullen lassen. Sie macht sich über die Ausreden der Hausfrauen lustig, mit denen sie sich des lästigen Telefongesprächs entledigen wollen und jauchzt jedes Mal auf, wenn eine mit einem knackigen Spruch einfach den Hörer auf die Gabel legt.
“Guten Tag, hier spricht Camilla aus Entenhausen. Kann ich Signora Caius sprechen?”
“Diese Schlampe ist gestern mit einem Anderen abgehauen. Ich würde Ihnen gerne die Handynummer geben, nur um sie zu ärgern, aber die dumme Kuh geht sowieso nicht ran. Falls Sie sie ausfindig machen, lassen Sie es mich wissen.”
Die
“Zuckerbrot und Peitsche”-Leistungsphilosophie des Callcenters,
beobachtet sie zum Einen mit Humor (als besondere Prämie dürfen die
Telefonistinnen nämlich nach New York fliegen und dort ein verlängertes
Wochenende verbringen... in Begleitung der Cheftelefonistin Hermann)
aber zum Anderen beobachtet sie auch besorgt, dass diese plumpe Masche
anscheinend bei allen Mitarbeitern die gewünschte Wirkung zeigt. Die
Vertreter, die den Hausfrauen den Kirby schließlich verkaufen sollen
(von Camilla auch Sharks genannt), werden bei Verfehlen des
Leistungsminimums sogar mit Bestrafungen schikaniert. Sie müssen sich
die Haare färben oder als Frau verkleidet in ein Einkaufscenter gehen.
Anfangs hegte ich den Verdacht, dass Michela Murgia sich zu Recherchezwecken in ein Callcenter einschleusen ließ, um darüber ihr Buch zu schreiben. Doch die Wahrheit sah ein wenig anders aus: In der Tat hat die Autorin ihre eigenen Erfahrungen in diesem Buch nieder geschrieben, allerdings hatte ihre Dokumentation anfangs noch die Form eines Blogs. Den Job im Callcenter hatte sie tatsächlich nur angenommen, um Geld zu verdienen und im Blog berichtete sie beiläufig, welchen Wahnsinn sie bei der Arbeit erlebte.
Diese Angelegenheit entwickelte - wie es eben manchmal passiert - eine starke Eigendynamik. Der Blog der Autorin erlangte in Italien unheimliche Popularität und gab den Startschuss zu einer politischen Debatte, in der es sich um die Arbeitsplatzqualität drehte. Die Callcenterjobs sind ein Paradebeispiel für die Entwicklung des Arbeitsmarktes, der unter der Federführung von Berlusconi geebnet wurde. Die Rechte der Arbeitnehmer wurden in den letzten Jahren sukzessiv gestutzt, der Kündigungsschutz gelockert und damit eine Sklavenkultur etabliert, deren Galleonsfigur von Michela Murgia repräsentiert wurde. Diese wollte sich der hitzigen öffentlichen Debatte anfangs noch entziehen, als sie aber ihre Bedeutung in der Sache und damit ihre Chance auf Besserung erkannte, stellte sie sich bereitwillig in Talkshows als Gesprächspartner zur Verfügung.
Da gerade Wahlkampf herrschte, bekam das Thema viel Aufmerksamkeit. Kurz nach den Wahlen jedoch ebbte die Diskussion um Arbeitsschutz ebenso schnell ab wie sie gekommen war. Das ganze versickert einfach ohne rühmliches oder tragisches Ende - und genauso endet auch die Erzählung von Camilla im Callcenterland.
Anfangs hegte ich den Verdacht, dass Michela Murgia sich zu Recherchezwecken in ein Callcenter einschleusen ließ, um darüber ihr Buch zu schreiben. Doch die Wahrheit sah ein wenig anders aus: In der Tat hat die Autorin ihre eigenen Erfahrungen in diesem Buch nieder geschrieben, allerdings hatte ihre Dokumentation anfangs noch die Form eines Blogs. Den Job im Callcenter hatte sie tatsächlich nur angenommen, um Geld zu verdienen und im Blog berichtete sie beiläufig, welchen Wahnsinn sie bei der Arbeit erlebte.
Diese Angelegenheit entwickelte - wie es eben manchmal passiert - eine starke Eigendynamik. Der Blog der Autorin erlangte in Italien unheimliche Popularität und gab den Startschuss zu einer politischen Debatte, in der es sich um die Arbeitsplatzqualität drehte. Die Callcenterjobs sind ein Paradebeispiel für die Entwicklung des Arbeitsmarktes, der unter der Federführung von Berlusconi geebnet wurde. Die Rechte der Arbeitnehmer wurden in den letzten Jahren sukzessiv gestutzt, der Kündigungsschutz gelockert und damit eine Sklavenkultur etabliert, deren Galleonsfigur von Michela Murgia repräsentiert wurde. Diese wollte sich der hitzigen öffentlichen Debatte anfangs noch entziehen, als sie aber ihre Bedeutung in der Sache und damit ihre Chance auf Besserung erkannte, stellte sie sich bereitwillig in Talkshows als Gesprächspartner zur Verfügung.
Da gerade Wahlkampf herrschte, bekam das Thema viel Aufmerksamkeit. Kurz nach den Wahlen jedoch ebbte die Diskussion um Arbeitsschutz ebenso schnell ab wie sie gekommen war. Das ganze versickert einfach ohne rühmliches oder tragisches Ende - und genauso endet auch die Erzählung von Camilla im Callcenterland.
Sprachlich
ist “Camilla im Callcenterland” leicht verdaulich und unspektakulär gehalten.
Der besondere Reiz ihres Berichtes liegt in ihrem lakonischen Humor, mit
dem sie ihre Situation und das Arbeitsleben im Callcenter beschreibt.
Und auch als Telefonistin bei Kirby erlebt man tatsächlich hin und
wieder lustige Gespräche. Dazwischen tauchen erbarmungslose Meetings mit
Hermann herein, die den harmlosen Komödiantenstadl durchbrechen und
eine Atmosphäre wie in einem Arbeitslager für Kriegsgefangene aufkommen
lassen. Druck, Vorwürfe, Erpressung, immer wieder dieselben
hirnverbrannten Slogans “Wenn ihr die geforderte Leistung nicht schafft,
seid ihr selbst schuld” und ernst zu nehmende Zusammenbrüche bei den
Vertretern geben dem Leser schnell vor, wie er dieses ganze Setting zu
finden hat: Nämlich moralisch verwerflich.
Insofern bietet das Buch wenig Neues, was man sich nicht sowieso schon denken konnte. Callcenter und Leistungsdruck sind böse, der Chef dieses Unternehmens ist ein Halsabschneider und die Cheftelefonistin sein wild gewordener Vorzimmerlöwe. Murgias Lakonie und gedankliche Kommentare zu den Erlebnissen machen das Buch dennoch zu einer kurzweiligen Lektüre, die unweigerlich Zorn gegen die ausbeuterische Arbeitgeber-Mentalität aufkommen lässt. Für ein komplettes Bild hätte fehlen noch die Ansichten und Motivationen des Chefs, aber für einen ersten (nicht sehr angenehmen) Eindruck genügt das Buch vollends.
Insofern bietet das Buch wenig Neues, was man sich nicht sowieso schon denken konnte. Callcenter und Leistungsdruck sind böse, der Chef dieses Unternehmens ist ein Halsabschneider und die Cheftelefonistin sein wild gewordener Vorzimmerlöwe. Murgias Lakonie und gedankliche Kommentare zu den Erlebnissen machen das Buch dennoch zu einer kurzweiligen Lektüre, die unweigerlich Zorn gegen die ausbeuterische Arbeitgeber-Mentalität aufkommen lässt. Für ein komplettes Bild hätte fehlen noch die Ansichten und Motivationen des Chefs, aber für einen ersten (nicht sehr angenehmen) Eindruck genügt das Buch vollends.
Toller Artikel, genau danach habe ich gesucht.
AntwortenLöschenGrüße Alex
Danke für das Lob :-)
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