Dienstag, 8. April 2014

Christian Seidel: Die Frau in mir - Ein Mann wagt ein Experiment

Denis Scheck ist mal wieder Schuld. In seiner Gesprächsrunde “Leipziger Buchnacht” (hier kann man sie sich ansehen) stellt er sechs bemerkenswerte Autoren mit ihren aktuellen Veröffentlichungen vor. Dazu zählt auch Saša Stanišić, der mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2014 ausgezeichnet worden ist. Aufmerksam wurde ich auf einen anderen Autoren, der fast zwei Jahre lang einen ungewöhnlichen Selbstversuch unternommen hat: Er hüllte sich in Frauenkleider, um seine eigene weibliche Seite kennenzulernen und die Sichtweise der Frauen besser zu verstehen.

Der Start des Experiments verläuft völlig unspektakulär. Beim Spazierengehen friert es Christian Seidel an den Beinen und er geht in ein Einkaufszentrum, um sich ein Kleidungsstück zu kaufen, was diesen Missstand beseitigt. In der finsteren Männerabteilung findet er nur unförmige Unterhosen, mit denen er schon als Kind auf Kriegsfuß stand. Als er mit der Rolltreppe in die Damenabteilung empor gehoben wird, empfangen ihn warmen Farben und beleuchtete Auslagen. Er fühlt sich auf Anhieb pudelwohl. Auch für sein Kleidungsproblem findet er in der Damenwäsche-Abteilung eine Antwort: Nylon-Strümpfe.
Sie sind perfekt - nicht zu dick, sodass man in geschlossenen Räumen nicht schwitzt aber trotzdem eine zweite Stoffhaut, die den frierenden Körper wärmt. Dabei liegt sie so schön geschmeidig an der Haut, sodass sie unsichtbar unter der Alltagshose getragen werden kann. Warum gibt es ein solches praktisches und gleichzeitig anmutiges Kleidungsstück nicht auch für Männer?, fragt sich der Autor.
In dem Moment hat er Feuer gefangen. Die Frage, warum Männer sich so prinzipiell von allen weiblichen Lebens- und Kleidungsgewohnheiten, von allem Angenehmen und Stachellosen distanzieren, geht ihm nicht mehr aus dem Kopf. Es ist doch kein Mann auf der Welt nur hundertprozentiger Mann. Jeder trägt auch ein kleines Stück Frau in sich - so wie jede Frau auch ein kleines Stück Mann in sich trägt. Nur Frauen leben ihren inneren Mann ganz locker und unbehelligt aus. Sie tragen Hosen oder Kapuzen-Pullover als wäre es das Normalste von der Welt (es ist ja auch das Normalste von der Welt). Nur wenn ein Mann plötzlich im Rock und hochhackigen Schuhen auf die Straße treten würde, wäre es nicht mehr normal.
Von dem Moment an will es Christian Seidel genau wissen. Er kauft sich Frauenkleider und fährt in ein Spezialgeschäft, in dem künstliche Busen und Perücken für Männer verkauft werden. Er deckt sich mit Schuhen, Röcken, Blusen ein, lässt sich von einer Kosmetikerin schminken und die Nägel lackieren. Er lernt, auf hohen Absätzen zu laufen und eignet sich unbewusst mehr und mehr weibliche Verhaltensweisen an.
Fast alle seiner männlichen Freunde reagieren abweisend auf das Experiment. Sie halten diese Frauen-Nummer für eine perverse Phase, Midlife-Crisis oder transsexuelle Anwandlungen (die wiederum ein Problem darzustellen scheinen). Gleichzeitig gewinnt er Freundinnen dazu, mit denen er Gesprächsabende besucht und sich über Frauenthemen austauscht.
Die eigentliche Erkenntnis liegt natürlich nicht darin, dass ein Mann dazu in der Lage ist, die Hüften zu schwingen und Prosecco zu schlürfen. Vielmehr muss er erkennen, dass seine Erkundungsphase in die Weiblichkeit von anderen Frauen viel besser verstanden, ja sogar wohlwollend aufgefasst wird, während sämtliche Männer negativ darauf reagieren. Diese, so beobachtet es der Autor, sind in ihrer Geschlechterrolle verbohrt und fest verankert. Es ist ihnen ein Bedürfnis, alles Weibliche von sich zu stoßen, als wäre es ein Makel. Frauen hingegen sind offen und experimentierfreudig. Sie haben überhaupt kein Problem, sich nach außen so zu zeigen wie sie sich fühlen, während Männer sich größte Mühe dabei geben, nach außen keinerlei emotionale Regung zu zeigen. Gleichzeitig buhlen sie um die Aufmerksamkeit der Damen - stets bemüht, ihre männliche Würde dabei nicht zu verraten. Sie wirken neben Frauen wie traurige Figuren in einem Aquarium voll bunter Fische.
Trotzdem wird die Welt von Männern dominiert, die das Mannsein anscheinend als etwas Höherwertigeres ansehen. So sind es am Ende die Frauen, die sich anpassen müssen, herrisch auftreten, Rüschen und hübsche Farben gegen graue Businesskostüme eintauschen - nur damit sie von den männlichen Kollegen ernst genommen werden. Man merkt, dass diese Beobachtung den Autor wütend macht.




Seine Beobachtungen und Erfahrungen reichen noch viel weiter. Es sind angenehme Erlebnisse aber auch beängstigende Momente, bei denen immer Männer die treibenden Kräfte spielen. Sie lesen sich ungewöhnlich und dramatisch - was nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein dürfte, dass sich Christian Seidel in eine ebenso dramatische Frauenfigur verwandelt hat. Als hochgewachsener Mann mit wenig weiblichen Gesichtszügen musste sich ausgerechnet eine langhaarige hellblonde Perücke und künstliche Brüste in Doppel-D-Körbchengröße aussuchen. Dazu kleidet er sich so feminin, wie es ihm nur möglich ist, trägt die höchsten Absätze und knappe Röcke. Dass er damit wie eine echte Frau aussieht, hat weder er noch irgendjemand anderes ernsthaft angenommen. Er stellt die größtmögliche Provokationsfigur dar, die man seinen Mitmenschen darbieten kann.
Er sagte über sich selbst sinngemäß:
Ich sehe aus wie die Karikatur meiner Traumfrau.


Während ein schmächtiger Mann mit dezentem Absatz oder Lippenstift vielleicht übersehen worden wäre, zieht Christiane jede Aufmerksamkeit auf sich - sowohl positive als auch negative. Der Autor gibt jedoch darauf Acht, seine Erfahrungen immer wieder mit denen echter Frauen abzugleichen, sodass er uns seine Storys nie als Realität der Frauenwelt unterjubelt.
Dennoch beobachte ich bei ihm eine Veränderung, die sich wie Klischee-Hopping anfühlt. Als Mann beschreibt er sich als einen erfolgreichen Manager-Typ, der viele Affären hatte und es mit der Treue noch vor wenigen Jahren nicht immer sehr genau nahm. Er war selbst der Typ Mann, über den er heute fassungslos die Hände über den Kopf zusammen schlägt. Von diesem Klischee des Homo Sapiens Testosteronus vollführt er eine komplette Kehrtwendung hin zu einem dekorativen Superweibchen, was plötzlich an keiner Modeauslage mehr vorbeikommt, ohne sich in ein-zwei Kleidungsstücke zu verlieben. Das Leben als Frau beschreibt er als viel entspannter und unverbohrter als das Leben der Männer - lässt aber außer Acht, dass er nur als Mann je gearbeitet hat. Dass das Leben süß sein kann, wenn man sich den ganzen Tag nur mit der eigenen Staffage und Philosophie beschäftigt, ist kein Privileg der holden Weiblichkeit. Er entwickelt ein etwas zu verklärtes Frauenbild, was sich in seinen Schlussfolgerungen widerspiegelt. Gegen Ende des Buches wird angedeutet, dass bei den Damen nicht alles nur problemlos und offenherzig zugeht sondern auch sie richtige Scheusale sein können. Diesen Punkt nimmt er geräuschlos in sich auf und man weiß als Leser nicht genau, was er mit ihm macht.
Schlussendlich ist es dennoch ein interessanter Bericht eines Mannes, der einfach mal etwas ausprobieren wollte und dabei ungewollt neue Wesenszüge bei seinen Mitmenschen (und bei sich selbst) aufgewirbelt hat. Über sein Urteil über Mann und Frau kann man sicher streiten aber er ist derjenige, der einen großen Schritt auf die Frauen zugegangen ist, indem er die männliche Ehre, an die sich seine Geschlechtsgenossen so verbittert klammern, mit einem entspannten Lächeln von sich abstreifte.


Erst aus dem Buch habe ich erfahren, dass es über sein Experiment sogar eine Dokumentation gibt, die auf arte gesendet worden ist. Allerdings ist sie nachträglich in keiner der Mediatheken mehr zu sehen. Vielleicht meint es arte gut und wiederholt die Sendung. Ich würde sie mir auf jeden Fall ansehen.



1 Kommentar:

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