Nicholson
Baker, der
hier schon einmal Thema war, rauscht nun mit dieser Novelle über
Telefonsex erneut in den Blog. Vox, lateinisch für „Stimme“, ist noch etwas
älter als die Fermate, stammt aus dem Jahr 1992 und besteht aus einem 188
Seiten langen, am Telefon geführten Dialog zwischen einem Mann und einer Frau
über Intimität, Masturbation, Sex und Phantasien rund um diese Themen. Ein
durchaus gewagter Ansatz, der aber zumindest insofern gelungen ist, als das er
als literarischer Durchbruch des Autors gilt.
Jim und Abby lernen sich in einem offenen telefonischen
Chatroom kennen und begeben sich von dort in ein geschlossenes Separee, dort beginnen
sie sich, steigernd, mit größter Offenheit zu erregen. Für beide ist diese
Kommunikation Teil ihrer Fantasien, beide sind große Fans der Masturbation und
beide genießen die Abseitigkeit ihrer Begegnung sehr.
„Ich glaube, man kann wohl mit Fug und Recht sagen, dass dich masturbierende Frauen interessieren,“ sagte sie."„Jede Frau, die irgendwo masturbiert – von allen will ich wissen. Keine Frau, die nicht schön wäre, wenn sie masturbiert."
Trotzdem erkennen sie auch Schwierigkeiten sich in dieser Situation
gegenseitig anzutörnen. Für beide entsteht ein Teil ihrer Erregung aus die
Erregung des Partners, da es aber geschlechterspezifische Unterschiede über die
Vorstellung einer gelungenen Phantasie gibt, wechseln sie sich mit dem erzählen
ab und erfinden auch freimütig dies und jenes hinzu. Die eigentlichen Phantasien
werden immer wieder durch Ruhephasen unterbrochen, in denen diverse Themen aus
dem Leben der beiden zur Sprache kommen. Diese Struktur könnte einer weiblichen
Erregungskurve nachempfunden sein und bestimmt aber auf jeden Fall den Aufbau, das
Ende und damit den Höhepunkt der Geschichte.
Das hört sich spannend an und ist es teilweise auch, leider
benötigt die Novelle viele Seiten, um in Schwung zu kommen, da hätte aus meiner
Sicht eine Kürzung gut getan. Weil der Autor bemüht ist ein breites Spektrum an
Vorlieben abzudecken, zünden sicher nicht alle Ideen bei jedem Leser. Sehr viel
Mühe steckt in typischen Frauenphantasien, diese Teile sind teils sehr schöne surreale
und traumhafte Sequenzen mit schnellen Schnitten, die nur einzelne Bilder von
expliziten Szenen aufblitzen lassen. Besonders skurril ist eine Phantasieszene
der Frau, in der sie sich in einer Wand feststeckend, gleichzeitig von drei
Handwerkern bemalen und bespielen lässt. Die männlichen Phantasien bedienen
sich, wie schon in „Die Fermate“, häufig Masturbationsbildern und Erzählungen, die
ihren Reiz aus der Übertretung gesellschaftlicher Anstandsformen ziehen. So
überredet er eine Kollegin, auf die aus Fermate bekannte hintergründig
überkomplexe Weise dazu, mit ihm auf dem Sofa sitzend einen Porno zu schauen
und sich dabei selbst zu befriedigen. Kern der Phantasie ist wieder, der Frau bei
der Erregung zuzusehen, dabei aber passiv zu bleiben. Viele der männlichen
Bilder wirkten auf mich ähnlich bekannt.
In den expliziten Szenen beschleunigt Baker den Text angenehm
aber in den Pausen dazwischen fällt er in einen langatmigen Stil, in dem er
über Alltagsdinge in langen Sätzen, geringen Inhalts ins Schwafeln gerät, das
nervt auf Dauer ein wenig. Die lange Einführung soll ihre Erotik sicher auch aus
dem Bruch ziehen, das Intimitäten, die
man ansonsten für sich behält, hier einem Fremden anvertraut werden. Das
gelingt in Situationen, in denen man sich selbst wiedererkennt, misslingt aber
in Bildern die in das Absurde getrieben werden.
Zusammengefasst ist das ein durchaus interessantes
Experiment, es lebt aber vom eher kleineren Teil, in dem die Szenen explizit
sind und mit einer gelungenen Bildsprache modelliert wurden. Der Rest zieht
sich dagegen zu sehr in die Länge. Frauen kommen im Gegensatz zu „Die Fermate“
in dieser Erzählung aber mehr auf ihre Kosten. Trotz der guten Idee war das erst
einmal mein letzter Versuch mit Nicholson Baker, die Texte sind mir insgesamt
zu ähnlich in ihrer Ausrichtung.
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