Montag, 12. Dezember 2011

Birgit Vanderbeke: Geld oder Leben

Die Erzählung erfolgt im biografischem Stil. Ihre Sprache ist erstaunlich einfach und gleicht in ihrer Einfachheit fast der eines Kindes; wenn da nicht die verschachtelten Sätze wären! Der einfache Erzählstil beeinträchtigt in keiner Weise die glasklare Analyse des Umfeldes. Es wird der Versuch der Menschen, Glück ausschließlich durch Geld erlangen zu können ebenso thematisiert, wie die Täuschung der Menschen durch die Industrie, und wie dumm es doch eigentlich ist, an etwas zu glauben, nur weil alle daran glauben.


Jeder einzelne von uns, dachte ich, muß schließlich irgendwann sterben und hat nur das winzige bißchen Zeit zwischen zweimal der schwarzen Nicht-Zeit, einmal vorher und einmal nachher, und man kann dieses bißchen Zeit unmöglich auf albernere Weise verbringen als mit Zahlenkolonnen, die auch noch Zinsen und Gebühren heißen und eine ganz dumme Sache sind, die es eigentlich gar nicht gibt, und trotzdem tun alle, als gäbe es diese Sache und als müsse ausgerechnet er persönlich nicht sterben, weil er mit dieser Sache beschäftigt ist.

Ein Stück weit findet sich auch die Geschichte der BRD wieder, klug umschrieben, dass es den Leser teils zum Schmunzeln bringt. Beispielsweise wird über das Aufkommen des Kabelfernsehen berichtet und dass alle begeistert von dem Schrott waren, mit dem man "sich die Birne zuknallte". In dieser Hinsicht hat sich ja nicht viel verändert ;o)

Die Hauptakteurin wird als "selbstgestrickt" beschrieben, und das ist sie auch. Sie beschreibt die Kunst, mit wenig Geld auskommen zu müssen; als Studentin blieb ihr nichts anderes übrig; und wie peinlich es ihrer Familie ist, dass sie lebt, wie sie lebt. Aufgewachsen in einer Zeit des Wirtschaftsbooms expandiert alles um sie herum, die Autos werden größer, Mobiliar wird beständig erneuert und alles Alte in den Keller geräumt zu den Dingen, die auch schon ersetzt wurden - Redundanz wohin das Auge blickt. Sie wirkt darin wie eine kleine Insel inmitten eines großen Meeres - und wundert sich.

In der Uni lernte ich Dinge, die nur mit der Uni-Wirklichkeit zu tun hatten, weil kein Mensch auf die Idee kommt, in Bibliotheken zu gehen und Zeitschriften herauszusuchen, die nicht gut riechen, und in diesen Zeitschriften nach Aufsätzen zu suchen, die keinen anderen Sinn haben als den, daß die Leute in der Uni nach ihnen suchen und sie dann mehr oder weniger abschreiben und mit anderen Aufsätzen vergleichen, die über dasselbe Thema in anderen Zeitschriften stehen, die wiederum nur für die Uni gemacht werden, und je mehr solche Aufsätze man abschreibt und in seinen eigenen Arbeiten hineinschreibt, um so dicker werden die eigenen Arbeiten, und um so länger wird die Liste am Schluß, an der man sehen kann, wie viele solche Aufsätze gefunden und abgeschrieben worden sind.

Unter anderem dieser Absatz beweist, dass dieses Buch durchaus aktuell ist, wenn man sich an den Amerika-Rückkehrer und jetzt seineszeichens Berater der EU Kommission erinnert.

Kurzum: Dieses Buch ist ein kurzweiliges, mitunter bissiges Vergnügen und schafft es durchaus auch der heutigen Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten.

3 Kommentare:

  1. Ein sehr interessant klingendes Buch, die Autorin könnte sehr nach meinem Geschmack sein. Ich glaube, das werde ich mir mal ausleihen ;-)

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  2. Jetzt weiß ich, warum Du dieses Buch so toll fandest, Doreen. Da sprach ein Stück weit Deine Lebens- und Konsumphilosophie aus den Zeilen :-)
    Ihr selbstgestrickten Konsumverweigerer, ihr!
    Echt ein klasse Buch, wenn auch mit gewöhnungsbedürftigem Sprachstil, aber inhaltlich wunderbar. Da werde ich mir mal noch weitere Bücher von ihr angucken.
    Vielen Dank für den Autorentipp! :-)

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  3. Freut mich sehr, dass es Dir gefallen hat. Ich werde als mir nächstes von ihr das Buch "Das Muschelessen" vornehmen.

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