Es ist ein Spiel mit doppeltem Boden unter einem doppeltem Boden, ein Spiel um Autobiographisches, ein Spiel um schriftstellerische Freiheit, ein Verwirrspiel. Was darf man einem Schriftsteller glauben und was darf er schreiben? Er darf Geschichten erfinden aber darf er auch die Wahrheit erzählen und was ist wenn er die Lüge in die Wahrheit verpackt oder die Wahrheit in die Lüge? Wird das dann ein großer Spaß oder eine kräftige Ohrfeige?
Über Philip Roth werde ich wohl analog zu D.F.Wallace
noch einmal einen eigenen Beitrag verfassen, die wenigen Worte aus „Die
Demütigung“ müssen also erst einmal reichen.
Ach, und noch etwas bevor ich anfange: Ich habe beschlossen
bei diesem Roman kein Geheimnis um das Ende zu machen, da sich aus meiner Sicht
die Tiefe des Buches anders nicht erklären lässt. Wer also seine Spannung bewahren
will ist hier falsch, sei aber auch gewarnt denn einiges erschließt sich,
zumindest nach meiner Meinung, nicht beim ersten Lesen, somit ist es fast
zwingend das Buch zweimal zu lesen.
Bei „Täuschung“ handelt es sich um einen kurzen Band von 167
Seiten, auf Deutsch erschienen 1993, der komplett in Dialogen geschrieben ist.
Die Story ist eigentlich ganz einfach: Ein Schriftsteller transkribiert die
Gespräche eines ehebrecherischen Pärchen vor und nach dem Akt, was zum Streit
mit seiner Frau führt (also die des Schriftstellers). Das war es eigentlich
auch schon. Wobei, etwas komplizierter wird es dann doch noch, da sich Philip
Roth die Erklärungen, „Wer“ „Was“ spricht, komplett gespart hat und weil der
Mann, der vom Schriftsteller transkribiert wird, auch noch selbst
Schriftsteller ist und seiner Geliebten zwischendurch Details einer von ihm
erdachten Geschichte erzählt. Somit entstehen verschiedene Erzählebenen in
denen ganz bewusst unklar bleibt wie sich die Realität zu diesen Szenarios
verhält.
Aber gehen wir mal nur die wichtigste Ebene detailliert durch.
Das Liebespaar besteht aus dem jüdischen Schriftsteller Philip und einer
namenlosen Frau, die sich regelmäßig in seinem Arbeitszimmer zum Sex und vor
allem zum Gespräch einfinden.
„Ich höre zu. Ich höre. Ich bin ein écouteur – ich bin audiophil. Ich
bin ein Gesprächsfetischist.“
Er hört also zu und so erzählt die Frau entsprechend mehr,
ihre Ehe ist zerrüttet, nur noch die Angst vor dem Ärger und den finanziellen
Problemen einer Scheidung hält das Gebilde zusammen. Sexuell läuft wohl auch
nichts mehr. Auch ihn als Liebhaber hat sie scheinbar gerade darum angeschafft,
weil ihr Mann eine Geliebte hat.
„Da sagte ich, vergessen Sie’s, es geht eigentlich darum: Er hat diese
herrliche Situation, in der er genau das tun kann, was ihm gefällt, und ich
habe entdeckt, dass es eine furchtbar ungewöhnliche Situation ist, und wenn ich
für mich nicht auch so etwas zustande bringe, dann kann ich gleich aufgeben.“
Er hat da schon bessere Gründe. Er genießt, ja schwelgt in
ihrer Exzentrik um sie aufzuschreiben und zu fiktionalisieren, hat was sich und
seinen Teil der Affäre angeht, klare Prioritäten:
„Vielleicht funktioniert es besser, wenn in einer ehebrecherischen
Affäre nur ein Teilnehmer über häusliche Unzufriedenheiten klagt. Wenn beide
damit anfangen, dann dürfte für die Sache selbst wirklich nicht viel Zeit
übrigbleiben.“
Also mit Ausnahme der Dinge die ihn wirklich bewegen, wozu
seine Ehe im Übrigen nicht zu gehören scheint. Ja, tatsächlich erregt er sich
gern über gefühlten oder auch tatsächlichen Antiamerikanismus und
Antisemitismus in England und verleiht seiner Sehnsucht nach dem gelobten
Amerika Ausdruck. Die mehr persönlichen Klagen der Frau erreichen dagegen den
Ersatz einer Sitzung beim Psychiater und sind so übergeigt, dass man sie konstruiert
nennen kann und den Verdacht erwecken nicht nur eine Vorlage zu besitzen
sondern eine Verquickung verschiedener Frauen zu sein.
Die so erstellten Gespräche führen zum Streit auf der übergeordneten
Ebene und zwar zwischen dem Schriftsteller und möglichen Schöpfer von Philip
und Co. und seiner Frau, die diese transkribierten Gespräche selbstverständlich
für real hält und somit von einem Ehebruch ausgeht. Auch seine Beschwichtigung,
sich das alles nur auszudenken, macht es für sie nicht besser. Die Frau, die
ihn kurz nach Veröffentlichung anruft und sich zum Teil in diesen Gesprächen
wiedererkennt, schwankt zwischen Begeisterung und Ablehnung, da sie sich
einerseits zu armselig dargestellt sieht und andererseits den Stolz die Heldin
des Romans zu sein nicht genießen kann, da sie nicht eindeutig genannt ist. Unumwunden
gibt er ihr gegenüber zu, dass er sich einige künstlerische Freiheiten und Hinzunahmen
geleistet hat.
Die Frage die dieses Konstrukt der Täuschung aufwirft, ist
die Frage nach der Freiheit des Schriftstellers. In wie weit ist es ihm
gestattet Realität und Fiktion beliebig zu vermengen? Den Lesern kann das
sicher eher egal sein aber wir verhält es sich mit Bekannten, Freunden und
Ehepartnern. Was empfindet man wenn man lesend der (erfundenen?) Geliebten vorgestellt
wird und ist denn nicht selbst die Erfindung, das differenzierte Erträumen
einer anderen Frau, irgendwie Betrug? Darf man das Leben der Anderen überhaupt
weiterdenken? Was ist in einem Roman überhaupt biographisch und was sagt das
über den Schriftsteller?
Manche Schriftsteller leben von diesen Missverständnissen,
da bereits der Verdacht der Realität Skandale produziert, die für
Verkaufszahlen sehr förderlich sein können. Aber macht es überhaupt einen Unterschied,
ob Philip Roth nun auf junge Studentinnen steht oder John Irving von Tomboys träumt? Vielleicht ist
es vernünftiger, sich bewusst von den Schriftstellern abzuwenden und zu ihren
Werken hin. Die ständige Vermengung von Werk und Person hat ihren Siegeszug in
Politik und Pop längst angetreten, lassen wir also wenigstens die
Schriftsteller im Dunkeln.
Das wäre jetzt ein schönes Schlusswort gewesen aber
irgendwie fehlt noch eine Bewertung: Tja, das ist kein leichtes Buch, auch eher
kein Philip Roth Einsteiger aber die Mühe ist es durchaus wert. An manchen
Stellen ist es unglaublich komisch, diesen exzentrischen Personen zu lauschen,
einiges ist aber auch sehr weit weg. Die Gedankenwelt der New Yorker Upperclass
erschließt sich mir zum Bespiel nicht immer, auch einige Dinge aus der
spezifisch jüdischen Gedankenwelt sind schwierig nachzuvollziehen, speziell da
ich die Romane rund um „Nathan
Zuckermann“ noch nicht gelesen habe aber Der
menschliche Makel liegt schon auf dem Stack, vielleicht wird dann einiges
deutlicher.
Der Schreibstil ist wie gewohnt sehr angenehm, detailliert
aber nicht überfrachtet. Ganz besonders muss man hervorheben, dass in jedem
Satz die Persönlichkeit und der Stil der Person gepackt wurde, so dass man die
Personen auch ohne weitere Informationen recht problemlos auseinanderhalten
kann, das macht mit der Zeit richtig Spaß. Man kann sich auf das Buch also durchaus
einmal einlassen.
„Das habe ich verstanden. Das habe ich verstanden. Es ist eine so seltsame Geschichte.“„Ich weiß. Kein Mensch würde sie glauben.“
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