Patrick Hofman, Die Letzte Sau
„Die letzte Sau“, ein Bericht darüber wie überraschend plötzlich die Veränderung frühmorgens am eigenen Küchentisch sitzen kann, ist Patrick Hofmanns erste belletristische Arbeit. Hofmann ist in der DDR aufgewachsen und zur Schule gegangen absolvierte sein Studium aber schon in Gesamtdeutschland, er hat also eine Art Zweistaatenbiographie, so wie die jüngsten Protagonisten seines Romans. Mit diesem Werk über die Wende und die Umwälzungen die sie im Menschlichen hervorrief soll hier außerdem eine kleine Serie über die aktuelle Literatur zur DDR-Vergangenheit bzw. ihren Hinterlassenschaften beginnen.
In den letzten 1-2 Jahren hat die Literatur über die DDR und die Nachwendezeit sowohl qualitativ als auch quantitativ gewaltig zugelegt. Die Themen beschränken sich dabei nicht mehr nur auf die DDR selbst, sondern beleuchten auch die besondere Situation ihrer Bewohner nach der Wende und in den 20 Jahren danach. Erste Romane thematisieren bereits die Gedanken und Gefühle der ersten Generation, die keine direkten bzw. nennenswerten Erfahrungen mit dem sozialistischen Staat gemacht haben aber über ihre Eltern und die Umgebung weiter dessen Nachwirkungen spüren. Die Lage betrifft auch meine Biographie, daher will ich diesem Genre hier im Blog in Zukunft mehr Platz widmen. Im Prinzip ging es schon mit „Der Hals der Giraffe“ los aber es werden in Kürze sicher noch ein paar Bücher nachfolgen, vielleicht versuche ich irgendwann auch einige der Erkenntnisse, sofern es denn welche gibt, zusammenzufassen.
Aber nun zum Buch: Patrick Hofmann beschreibt im Roman die Handlungen, Gedanken, Gefühle und Erinnerungen eines Tages im Leben einer Familie 1990 in Sachsen. Die Umwälzungen realisieren sich im Rahmen des Schlachtfestes der „letzten Sau“ das gleichzeitig ein Abschiedsfest von Elternhaus und Hof ist weil die Braunkohlebagger das Heimatdorf in Kürze auffressen werden. Die Großeltern werden in eine Doppelhaushälfte umziehen, die Kinder und Enkelkinder, bis auf die jüngste Tochter Elke, wohnen schon länger nicht mehr dort, kehren aber für diesen einen Tag zurück.
Es soll eine große Feier werden ein Zerstückeln und Teilen, ein Streiten um Filet und Sülze, das Zerfleddern der letzten wertvollen Überreste der Vergangenheit. Man könnte annehmen, dass dabei die alten familiären Regeln gelten aber zur Überraschung aller kommt kein traditioneller Schlachter, sondern eine relativ junge Schlachterin. Sie macht neue Regeln, sie bestimmt wer wo anpackt, sie schüchtert die Alten ein, spornt die Eltern an, selbst zu handeln und verführt im Sinn des Wortes die Jugend. Das hört sich erst einmal ganz schön sinnüberladen an, denn natürlich ist die Sau ein Bild der DDR und die Schlachterin zeigt alle Eigenschaften der neuen Ordnung aber Patrick Hofmann erzählt mit so viel derben Witz, dass die ganze Moral nur Stück für Stück in das Bewusstsein kriecht und so nie sauer wird.
Die Atmosphäre auf dem Hof schwankt zwischen Rückblick und Vergangenheit und damit zwischen Wehmut und Aufbruch. Die Schlachterin bildet bei allen Aktionen den Mittelpunkt um den alles kreist. Da sucht der Alte, in Erinnerungen versunken in den Hinfälligkeiten seines Hofes, nach den letzten Hühnern und ihren Eiern, deren einziges er sich auch noch von der Schlachterin stibitzen lässt, während in der Kammer die ostdeutsche Tochter und ihr Freund, der Wessi, der vorher alle Gehässigkeit der Eingeschworenen Familie ertragen musste, die Wiedervereinigung Realität werden lassen. Die Elterngeneration ist offensichtlich gespalten, ist uneinig über ihre Zukunftspläne zum Teil wird noch die Stasivergangenheit verarbeitet und regelrechte Angst vor dem Neuen gezeigt, bei anderen dagegen werden bereits neue Pläne gemacht, auch wenn die geplanten Immobiliendeals noch nicht so richtig zünden wollen. Nur der Ehrgeiz kann schon mit den erfahreneren Westlern, die sich geschickt der Treuhand bedienen, mithalten. Somit ist die Zukunft schon geschrieben. Dieser Ehrgeiz auf dem Rücken der anderen ausgetragen, wird die Reste der Idylle, sofern es denn je eine war, ausradieren. Sehr auffällig ist auch die große Distanz zwischen den Generationen, die aber nur in der jüngsten Generation thematisiert wird. Die Älteren scheinen die Probleme überhaupt nicht zu bemerken. Ein „Man redet nicht darüber“ ist immer präsent, nur die Kinder machen sich Gedanken über den Alkoholmissbrauch und die heile Welt Atmosphäre ihrer Eltern und Großeltern. Die Schlachterin beschleunigt auch diesen Prozess der Abnabelung, es wird sichtbar, dass ein Weggang fast unausweichlich ist.
Diese Aufbruchs- und Abschiedsstimmung ist sehr gut getroffen, Hofmann findet immer wieder schöne Bilder für beide Zustände ob nun aus Weltall Erde Mensch gelesen wird oder die ganze Familie beim Spiel „Reise nach Jerusalem“ ihre Durchsetzungsfähigkeit übt. Sprachlich entwickelt sich an vielen Stellen ein eigenartig derb lyrischer Stil:
„Alles, was nicht zu verwerten ist. Auge, Geschlecht, Gehör, Schlussmuskel – trifft sich in dem Eimer, komische Kombination, das Hochentwickelte, Sensibelste und der letzte Dreck, gerade das, womit wir aus uns herauskommen, schmeckt nicht.“
der mir ziemlich Spaß gemacht hat. Die Sprache passt sich schön in die wenig sensible Atmosphäre des Schlachtens ein. Lediglich das lautsprachlich transkribierte sächsisch der Großeltern hat mich manchmal gestört. Im Gegensatz zum scheinbar groben Ton stehen aber viele Referenzen und Zitate von Hegel über Stalin bis „Ärzte“ und es entstehen einige schöne Diskussionen über die Natur des Schlachtens, die zeigen das alles grobschlächtige hier einen doppelten Boden hat, nur Spiegelbild der Umstände ist.
„Das ist, als ob sich beim Schlachten das Schwein selbst auffrisst. Am Ende steckt es gewissermaßen in seinem eigenen Darm und ist nicht wiederzuerkennen. […] Aber ist das nicht pervers? Ich meine, weil das Schwein das weder will noch alleine hinbekäme.“
„Unter gewissen Umständen, wenn es sich nicht um Schweine handelt…“
Nie weiß man so richtig ob hier Schwein, Staat oder beides gemeint ist. Aber das ist auch egal denn die Hausschlachtung stirbt, genau wie der Staat in dem sie noch so lange Mittelpunkt von Festen war.
„Alles, was gefressen werden kann, wird gefressen. Alles, was verwertbare Energie enthält, ist ein Nahrungsmittel, für das sich stets ein Verbraucher findet, der es zu verdauen vermag“
Die expliziten Beschreibungen aller Arbeitsgänge, eingeschlossen einer sehr deftigen Sexszene sind aber trotz aller hintergründigen Bildhaftigkeit vermutlich nicht jedermanns Sache, das ist vielleicht auch der Grund warum das Buch nicht gerade ein Bestseller war. Was ich sehr schade finde denn wenn man sich nicht abschrecken lässt, dann entspannt sich hier ein sehr menschliches und haargenau beobachtetes Bild der letzten Züge der DDR, indem sich jeder „Ossi“ wiedererkennen wird und von dem man vielleicht etwas im Westen über „die im Osten“ lernen kann oder wie Lukas der „Wessi“ bemerkt:
„Im Gegensatz zu den Ostdeutschen haben wir derzeit gar keine Geschichte, so wie uns der Sieg zugefallen ist, ohne dass sich für uns was geändert hat.“Also, einfach ein tolles Buch und das nicht nur für eine Himmelsrichtung.
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