Montag, 18. Juni 2012

Benjamin Stein: Replay

Benjamin Stein spielt mit unserer Wahrnehmung, er spielt mit unserem Bedürfnis nach Transparenz, er spielt mit unseren sexuellen Phantasien, er spielt mit unserem Selbstbild und der Frage, in wie weit es vom Bild, das andere von uns haben, abhängt. 

Ein Roman über die technische Entwicklung, über Sucht, über Social Network, über den Terror der Transparenz und ein wenig auch über Religion. 
Mächtige Themen auf 170 Seiten.




 Nach Philip Roth ist Benjamin Stein der zweite jüdische Schriftseller der in diesem Blog auftaucht, und er ist ein ungewöhnlicher dazu. Benjamin Stein wurde 1970 als Kind strenger Kommunisten, die auch, wenn auch nicht praktizierend, Juden waren, in Ost Berlin geboren. In seiner Jugend entschied er sich, seinen bis dahin wenig entwickelten Glauben tatsächlich zu leben und in diesem Rahmen seinen ersten Roman zu schreiben. Seine berufliche Karriere bewegte sich von journalistischer Tätigkeit für IT-Zeitschriften, zur Unternehmensberatung für IT-Unternehmen, um dann beide Felder schriftstellerisch zu bearbeiten. Herausgekommen ist dabei ein sehr schönes und vielbesuchtes Blog über Literatur namens „Der Turmsegler“, dann ein vieldiskutierter Roman über Religion und Erinnerung, namens „Die Leinwand“, und nun liegt auch der zweite Roman dieser Schaffensperiode namens „Replay“ (hier thematisiert auf seinem Blog und zum Teil gelesen) vor.
In „Replay“ geht es um den Ich-Erzähler Ed Rosen, ein Computer bzw. Biotechnologe, den wir in jedem Kapitel, direkt nach dem erwachen im Bett erleben aber immer weist diese Szene denselben Fehler auf:
„Und nun dieser Huf… Am Fußende lugt er im Dunkel unter der Bettdecke hervor. Das ist mir nicht geheuer. Ohne hinzusehen, decke ich ihn zu, lasse meinen Kopf zurück ins Kissen sinken und schließe die Augen wie ein Kind, das denkt, was es nicht sieht, ist nicht da.“
Mit diesem Huf als Anstoß, erzählt uns Ed aus seinem Leben: Er war ein ziemlich schludriger und lässiger Typ, der wenig auf sich und seinen Körper achtete, bis er sich um einen Job in der Firma von Professor Matana bewarb. Dieser machte es zur Einstellungsbedingung das sich Ed Rosen veränderte, sich neue Kleidung besorgte, seinen Körper pflegte und pflegen ließ, insgesamt sein Auftreten veränderte:
„Es war ein langwieriger Prozess. Ich eroberte mir meinen Körper von den Füßen aus aufwärts Zentimeter um Zentimeter zurück. Wenn ich es recht bedenke, war es ein Stück nachgeholter Kindheit und ein gehöriges Stück nachgeholter Pubertät."
Ed Rosen bekommt den Job und betrachtet Matana von da ab ehrfürchtig als eine Art Erlöser (Ähnlichkeiten zu Steve Jobs mögen beabsichtigt sein). Kurz danach lernt Ed außerdem eine Frau namens Katelyn kennen, mit der schnell eine von wenig getrübte, glatte und im Rahmen moderner menschlicher Phantasien, akkurate Beziehung beginnt. Selbstredend ist der Sex makellos, ja diese Frau selbst ist perfekt, die Schlampe im Bett und die Dame in der Außenwelt, sie fragt wenn sie fragen soll und sie schweigt wenn nicht, nur eine Forderung scheint für sie zu geben: Sie hat einen regelrechten Körperfetisch, trainiert täglich, ernährt sich aufwändig makrobiotisch und dehnt diese Lebensweise mit Hilfe der Firma bald auch auf Ed aus.

In der Firma wird an einer Verbindung aus Bilderzeugung, Bildverarbeitung und der Verknüpfung mit menschlichen Nerven gearbeitet und Ed, der ein funktionsunfähiges Auge hat, soll als Versuchsobjekt für ein Implantat herhalten, dazu muss er sich aber körperlich in einen optimalen Zustand bringen, dies erledigt Katleyn, die sich von der Kontrollerin der Firma problemlos zum Personal Trainer und zur ärztlichen Gutachterin wandelt. Ed wird nun noch vollkommener, er stählt seinen Körper, er lebt gesünder und hat noch besseren Sex und ein nun fast perfektes Leben. Schließlich gelingt der Eingriff und mit dem Implantat kann er wieder auf beiden Augen sehen. Da aber nun außerdem ein direktes Interface zum Gehirn existiert, kommt Katleyn auf die Idee, das dieses Gerät eigentlich auch noch viel mehr können müsste, und man zeichnet ab jetzt alle Bilder und Geräusche auf, die Ed erlebt und sendet diese umgehend zum Server der Firma.
Von nun an kann Ed diese Aufzeichnungen beliebig wieder hochladen und so noch einmal erleben/abspielen. Das Gerät wird kurz darauf zum Verkaufsschlager, erobert wie von selbst die Welt und Eds Leben ist nun perfekt, der Sex wird mit dem Gerät noch einmal wilder, er und Katelyn tauschen Perspektiven und Videos, tauschen die Rollen und schließlich integrieren sie eine weitere Frau in ihre sexuellen Spiele. Genau diese sexuelle Komponente macht das Gerät immer erfolgreicher bis über 70% der Bevölkerung sich damit identifizieren, ihre Daten teilen und natürlich „Replays“ kaufen bzw. tauschen, nur ein paar ewig Gestrige namens „Anonyme“ wie Julian Assange verweigern den Trend:
„Mein Weg ist mein Weg, skandiert er das Motto vom Bogen über dem Tor der Exklave. Es gefällt ihm nicht, dass wir über die Bewegungsprofile der UniCom-Bürger verfügen. Es gefällt ihm nicht, dass wir wissen, wer wann wo ist und was jemand gesehen und gehört hat. […] Am wenigsten gefällt ihm, dass man das UniCom in der neuesten Version als Vollimplantat nicht mehr abschalten kann, womit er wieder den Bogen schlägt zu den Orwellschen Televisoren.“
An das alles erinnert sich Ed während er da so im Bett liegt, und immer wieder liegt er in diesem Bett und erinnert sich, er erinnert sich daran, dass Katleyn irgendwann verschwunden ist, er erinnert sich daran, dass seine Firma die USA beherrscht und daran, dass er große Projekte leitet, er erinnert sich in einem wunderschönen Haus aus Glas, auf einem Felsen am Meer zu sein, er erinnert sich an Frühstück, an die Idee, Teile des Tiergottes Pan in Replays einzubauen, um sie von der Realität unterscheiden zu können, er erinnert sich an zwei nackte Frauen neben sich, er erinnert sich an so vieles…

Wenn ich meine ziemlich lang gewordene Zusammenfassung so lese, stelle ich wieder fest, warum ich das Buch gekauft habe: Weil es gut klingt, diese Handlung, die ganze Idee. Und das alles ist auch wunderbar durchdacht, der Plan ist perfekt wie seine Protagonisten, von der Umschlaggestaltung bis zur kühlen Sprache, alles ist weiß, clean und perfekt, alles ist seelenlos und emotionslos. Das war sicher auch Benjamin Steins Plan, denn er umschreibt damit auch das Wesen dieser Dienstleister und ihre Gedankenwelt, aber leider lässt mich der Roman so ebenfalls kalt. Der Versuch, mit realen Namen von Firmen und Menschen Aktualität zu schaffen, und die Tatsache, dass einiges davon auf aktuellen technischen Möglichkeiten aufbaut, hilft nicht, das Buch wirkt trotzdem wie Science Fiction, erinnert an die langen Korridore einer überbelichteten Raumstation. Das Buch stellt den Erfolg der Maschine fest, kann den Weg dorthin aber nicht überzeugend visualisieren und erzeugt so keine glaubwürdige und damit erschreckende Zukunftsvision. Vielleicht hätten eine „lebendige“ Identifikationsfigur und etwas weniger Sex dabei geholfen Emotionen zu wecken, die dort in seiner Welt nicht mehr zählen. Letztlich scheitert Ed im Roman eben nicht an der Diktatur der Offenheit:
„Ich war immer davon überzeugt, dass eine transparente Gesellschaft auch eine totalitäre Gesellschaft ist.“ Francois Baroin 2010
Sondern an seiner Sucht nach Replays. Die Idee eine total transparente Gesellschaft und deren zwangsläufige Folgen darzustellen, scheitert damit an zu eingeengter Sicht und der dargestellten Sucht nach einem Gerät das so vielleicht nie existieren wird.    

Ich kann diesem emotionslosen Ed einfach nicht folgen, ich glaube ihm nicht, vielleicht spricht das für mich, vielleicht gehöre ich auch einfach nicht zur richtigen Zielgruppe. Der Roman ist nicht schlecht aber mir zu kalkuliert. Großes Potential, aber aus meiner Sicht ab einem gewissen Punkt vergeben.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen