Samstag, 30. Juni 2012

Dmitri Bilenkin: Der Intelligenztest

(Sammelband mit drei
phantastischen Erzählungen)
Diesmal führte mich Dmitri Bilenkin mit einem Kurzgeschichtenband durch den Kosmos seiner Fantasie.
Ganze 18 kleine Erzählungen rund um Menschen, Außerirdische, Denkbares und Undenkbares, Übernatürliches und über die Zukunft wurden im “Intelligenztest” zusammen gefasst. Die Mehrzahl der Geschichten hat mich ehrlich verblüfft. Sie waren so anders und neu.



Starten wir sogleich mit der ersten Geschichte “Die Stadt und der Wolf”. Der Wolf, um den es geht, kann mit Hilfe eines Übersetzungsgerätes um dem Hals mit den Menschen sprechen. Er trifft auf einem Mann, der ein Fläschchen mit seltsam schillerndem Sand bei sich trägt. Stolz erzählt der Mann, dieser schöne Sand sei eine Probe aus der Expedition zum Planeten Satan. Einige Körnchen des Sandes landen auf dem Boden und da passiert etwas, was nur der Wolf wahrnimmt: Der Sand verändert seinen Geruch. Vom Geruch eines toten Gegenstand in etwas Lebendiges. Als der Wolf davon seiner menschlichen Freundin erzählt, ist dieser augenblicklich klar, welche Bedeutung diese scheinbar harmlose Geruchsveränderung hat und dass sie sofort Alarm schlagen muss.
Darüber, wie Außerirdische wohl sein könnten, macht sich Bilenkin gleich in mehreren Geschichten seine Gedanken. Einmal haben sie die Form von Sträuchern, die weder besonders intelligent, noch absolut dumm, sondern einfach nach Instinkt handeln und damit versehentlich eine menschliche Forschergruppe in Angst und Schrecken versetzen (“Kreuzwege”). Ein anderes Mal reagiert eine ganze Biosphäre auf die Astronauten wie Antikörperchen, die Bakterien im Organismus attackieren (“Der allergische Planet”).
Ein simples Gut oder Böse, Sanftmütig oder Aggressiv gibt es bei diesen Geschichten nicht. Bilenkin  kreiert Außerirdische, wie man ein Tier wahllos von unserer Erdoberfläche auswählt und beschreiben könnte. Die Frage, wie intelligent die Wesen sind, auf die man im Buch stößt, zerfließt schlichtweg in der fehlenden Kommunikationsmöglichkeit zwischen Menschen und Außerirdischen (wie es auch die Besatzung des Raumschiffs in der namensgebenden Geschichte “Der Intelligenztest” feststellen müssen).
Über die Zukunft, technischen Fortschritt im Allgemeinen und neue Erkundungsmöglichkeiten im Speziellen gibt es auch die eine oder andere Geschichte zu lesen. Einen Zeitreisenden begleiten wir ins 13. Jahrhundert, wo er aus irgendeinem Grund stadtbekannt ist und von einem Bischof gesucht wird (“Das Prinzip der Unbestimmtheit”). Eine völlig neue Art der Behausung preist der Verkäufer Biggs in “Das geniale Haus” an. Es ist eine Kreuzung aus einem Lebewesen mit einer technischen Konstruktion. Aus einem Ei heraus wächst es einfach auf dem Boden, formt Möbel und Gebrauchsgegenstand aus der eigenen Substanz heraus, produziert elektrischen Strom aus der Sonnenenergie und lässt sich auf Knopfdruck wieder in ein Ei zurück verwandeln.
Aber auch der Mensch selbst steht bei Bilenkin gern im Mittelpunkt. Hier geht Bilenkin wenig erheiternd an die Sache. Diese Sorte von Geschichten ist zumeist tragisch, melancholisch und trotzdem gleichzeitig poetisch. Wie der unauffällige Buchhalter Fedjaschkin, der unangekündigt an fremder Leute Türen klingelt und in dem Moment, wo er ihnen gegenübersteht, erhalten die Bewohner die tollsten Geistesblitze. Der bescheidene und traurige Fedjaschkin, der selbst nach eigener Aussage gar nichts kann, hat einzig und allein die Fähigkeit, andere zu schöpferischen Gedanken zu inspirieren. Doch ihm ist kalt, denn um ihn herum gefrieren immer häufiger gute Ideen, bevor sie aufs Papier gebracht werden (“Der Mann, der dabei war”).
Bei “Ein Platz im Datenspeicher” geht es um eine Erfindung der modernen Gesellschaft: Eine große Maschine, die alles Wissen der Menschheit beherbergt. In sie kann jedermann seine Lebensgeschichte diktieren und die Maschine extrahiert aus der Erzählung alle Gedanken, die neu, bemerkenswert oder anderweitig schützenswert sind. Ein älterer Herr hat davon Gebrauch gemacht, muss aber nach einer Anfrage feststellen, dass seiner ganzen Lebensgeschichte keine einzige Speicherzelle Platz eingeräumt wurde. Nun beschwert er sich bei dem beaufsichtigenden Ingenieur, wie denn so etwas sein kann. Dieser geht der Beschwerde auf den Grund. Doch da ist kein Fehler vorgefallen, die Maschine hat die Geschichte aufgenommen und ausgewertet... und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass nichts davon brauchbar war.

Am Ende des Lebens zu der Erkenntnis zu gelangen, keinen eigenen Gedanken gedacht, nur schablonenhaft empfunden zu haben, den Mitmenschen nichts gegeben, ja im Gegenteil sie vielleicht sogar gehindert zu haben wie ein veralteter Paragraph? (“Ein Platz im Datenspeicher”)

Wie man sieht, geht es bei Bilenkin nicht nur futuristisch zu. Der Mensch und seine Rolle inmitten fantastischer Welten und fremder Geschöpfe steht immer wieder im Mittelpunkt. Dabei zeigt er dem Leser besonders gern, wie das Denken und die Bemühungen des Menschen an ihre Grenzen stoßen. Annahmen, die der Mensch völlig selbstverständlich in seine eigenen Denkprozesse eingebaut hat, ergeben bei anderen Lebensformen keinen Sinn. Es kommt kein Kontakt zustande, in keinem der Geschichten. Aber durch Beobachten und Schlussfolgern kann der Mensch versuchen, zu verstehen, warum die Kontaktaufnahme erfolglos blieb. Diese Geschichten machen auf mich einen besonders glaubwürdigen Eindruck, denn weder der Mensch noch der Außerirdische übernimmt die Rolle der High-Tech-Wesen, die durch irgendwelche Apparate das Miteinander-kommunizieren zu einer einfachen Angelegenheit machen (außer bei der nicht ganz ernst gemeinten zwei-Seiten-Geschichte “Der Eskuder ist defekt”).
Die Geschichten, die sich um den Mensch in der Zukunft dreht, hören sich vor allem kritisch an. Allzu oft wird der Mensch von untugendhaften Motiven geleitet. Da Bilenkin dieses Handeln mehr oder weniger offensichtlich anprangert, klingt er für meinen Geschmack manches Mal ein bisschen zu belehrend.

“Man kann sagen, was man will, auf dem Mond ist es interessanter”, schwadronierte Silins Nachbar gutgelaunt. Er hatte sich bequem im Sessel ausgestreckt. “Die Nacht der Mondblüten - einfach fabelhaft! Waren Sie schon dort? Nein? Im Aristarchkrater gibt es ein kleines gemütliches Restaurant mit unvergleichlicher Küche, aber das nur am Rande. Dort muß man bei Vollerde sein. Man sitzt unter einer Kuppel, Schwärze, und darin viele Pünktchen - weiße, gelbe, rote, blaue, grüne Sterne...”
“Grüne Sterne gibt´s nicht.”
“Unwichtig. Und ringsrum die Ebene, im Licht der Erde. Spüren Sie den Kontrast? Da wird einem ganz feierlich zumute, leise erklingt Musik... und die Erde scheint. Einfach phantastisch! [...] Nein, vom Mars bin ich enttäuscht.” [...]
“Na, wenn Sie sich sogar auf dem Mars langweilen, wozu leben Sie dann?”
Verdutzt kicherte der Nachbar, dann fühlte er sich beleidigt. (“Sein Mars”)

Aber wiederum andere Geschichten erschaffen eine berührende Atmosphäre, die nach wenigen Seiten fertig erzählt ist aber darüber hinaus im Kopfkino des Lesers nachhallt. Meist sind die Stimmungen, die Bilenkin auf diese Weise schafft, sehr traurig oder zumindest denkwürdig.


 

In seiner Wortwahl ist Bilenkin unproblematisch. Die Geschichten lassen sich flüssig lesen, zerbersten in anstrengendem Fachjargon oder langen wissenschaftlichen Erklärungen. Das Tempo in den Erzählungen ist durchgängig flott; trotzdem schafft er es, den wichtigen Charakteren soviel Aufmerksamkeit zu schenken, dass man als Leser den Grund für jedes Handeln versteht.
Allein die Ungewöhnlichkeit der Geschichten hat mich sehr beeindruckt. Bilenkins Kurzgeschichtenband hat sich damit einen sicheren Platz auf der Liste der Bücher erarbeitet, die ich ScienceFiction-Fans dringend empfehlen würde.

4 Kommentare:

  1. Danke, das ist das perfekte Buch für meine Frau. Der Band sieht auf dem Bild antiquarisch aus, kriegt man den aktuell noch irgendwo?

    Danke - Thomas

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    1. Gut zu hören, dass es jemandem gefällt :-)
      Ich habe diesen 3er-Buchband gebraucht bei amazon gekauft. Laut Suche scheint es den tatsächlich von mehreren Verkäufern noch zu geben, zum Beispiel hier: http://www.amazon.de/Der-Intelligenztest-Dmitrij-Bilenkin/dp/B001BZ0BUM/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1341209900&sr=8-1
      Also bei amazon wirst Du auf jeden Fall fündig. In neuem Zustand sind die Exemplare dann aber meist nicht mehr. Der Intelligenztest ist aus 1978 bis 1987 und wurde seitdem scheinbar nicht wieder neu aufgelegt.

      Hoffentlich hat Dir das geholfen.
      Viele Grüße
      Antje

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  2. Ist auch heute noch erhältlich über Booklooker oder ZVAB. Gehörte gemeinsam mit "Gut eingerichtete Planeten" und "Das Raumschiff" zu meinen Lieblings-Sammelbänden der "Wissenschaftlichen Phantastik" (DDR-Slang für SciFi).

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