Samstag, 28. Dezember 2013

C. Cécil, L. Brunschwig: Holmes: Abschied von der Baker Street

Dieses Buch ist der erste Band einer mehrteiligen Graphic Novel. Wie viele Bände es geben soll, ist bislang noch nicht bekannt.

1. Abschied von der Baker Street


Die weithin bekannte und derzeit zu neuer Popularität erlangte Geschichte von Sherlock Holmes soll in dieser Graphic Novel neu aufgelegt werden. Sie beginnt ausgerechnet mit dem Ende von Sherlock Holmes selbst. Bei den Reichbachfällen, wo er sich zusammen mit seinem geheimnisvollen Gegenspieler Professor Moriarty in den Tod gestürzt hat, findet Doktor Watson eine Nachricht von Sherlock. Wir begleiten ihn, wie er - schwer getroffen vom Tod seines Freundes - Nachforschungen über den Moriarty-Fall anstellt und die Vergangenheit von Sherlock abklopft. Dabei findet er heraus, dass es sich bei Moriarty um einen begnadeten Mathematiker handelt, der Sherlock zu Schulzeiten selbst Nachhilfe gegeben hatte. Gleichzeitig behauptet dessen Bruder Mycroft, dass es sich bei Moriarty nur um ein Hirngespinst von Sherlock gehandelt habe, was durch Wahn und Drogenmissbrauch zustande gekommen ist. Dr. Watson selbst beginnt zu zweifeln, ob der Sherlock, über den er in seinen Artikeln schrieb, mit der realen Person überhaupt noch etwas gemeinsam hat.

Der erzählerische Stil der Graphic Novel erinnert an moderne, aber gute Drehbücher. Sie pfeift auf lineare, chronologische Abfolgen sondern wandert mal in die Vergangenheit, mal in die Gegenwart und erzählt von dort die unmittelbar zurück liegenden Ereignisse. Auch das reine Sprechen in Form von Sprechblasen ist nicht die alleinige Quelle des Informationsgewinnes für den Leser. Wir bekommen Briefe in die Finger, Tagebucheinträge in krakeliger Männerschrift, Blicke, die getauscht werden und Bildhinweise, die wie beiläufig ins Panel gezeichnet wirken. Alles, was ein Regisseur für seine erzählerische Entfaltung verwenden würde, kommt auch hier zum Einsatz. Dabei erreicht die Novel sowohl in ihrer Bildersprache als auch in der zaghaften Enthüllung des Plots enorme Spannung.

Die künstlerische Gestaltung der Graphic Novel von Christophe Cécil verdient besondere Anerkennung. Ganz im Stil eines Film Noir sind die Zeichnungen in schwarz-weiß gehalten, ohne monochrom daher zu kommen. Es handelt sich tatsächlich um Zeichnungen mit Tusche und Pinsel, in der sowohl das Charakterdesign (was trotz großer Personenvielfalt Wiedererkennung garantiert) als auch das Set von England im Jahr 1891 beeindruckend detailliert und glaubwürdig wiedergibt. Von den Kostümen zu den Häuserfassaden, Öllampen, Bartmode, Pferdekutschen und Wohnungsdekorationen findet sich kein Detail, was unbeachtet gelassen worden wäre. Dabei macht der Künstler nur zu gern davon Gebrauch, die Realität so verändert darzustellen, dass die gewünschte Stimmung noch besser aufgefangen wird. Ein so nebliges London und solch harte, bedrohliche Schatten wie in dieser Graphic Novel wird man so schnell nie wieder finden. Allein die Bilder nur anzuschauen, bereitet ein Mordsvergnügen, was den Arbeitsaufwand des Projektes in Ansätzen erahnen lässt.

Nur einen Nachteil bringt die Aufarbeitung der Sherlock Holmes Geschichte in dieser Form mit sich: Die erzählerische Tiefe kann mit einem Buch natürlich niemals mithalten. Gefühle, Gedanken und Zweifel werden allenfalls angedeutet (wenn auch bildhaft und äußerst anschaulich), finden keinen Raum, um sich glaubwürdig in Watsons Überlegungen einzunisten. Auch wird erzählerisches Tempo immer in der kostenbaren Währung “Panels” zurück gezahlt. Zehn Seiten klingen in einem Roman nach viel, in einer Graphic Novel hingegen können innerhalb dieser zehn Seiten ganze Jahre zurückgelegt werden oder nur ein paar Minuten. Daher ist das Lesevergnügen nach 75 Seiten auch sehr schnell vorüber, ohne dass Watson dem Moriarty-Mythos ein nennenswertes Stück auf die Schliche gekommen wäre.

Trotzdem möchte ich an dieser Stelle unbedingt eine Leseempfehlung aussprechen. Novizen des Romans dürfen sich zum Kauf ebenso angesprochen fühlen wie alteingesessene Holmes-Kenner. Hier geht es nicht nur um den reinen Stoff sondern um den Genuss des Erzählens. Hin und wieder treten Figuren oder Namen auf, die nicht sogleich eine Erklärung spendiert bekommen. Wer sie aus den Romanen kennt, kann sich seinen Teil dazu denken; wer sie nicht kennt, hat trotzdem seinen Spaß.
Für wen das Leistungsverhältnis Story pro ausgegebenem Euro nicht das entscheidende Kriterium darstellt, sondern wer sich zur Abwechslung mal auf ästhetische Weise von einer Geschichte entführen lassen möchte, der ist hier richtig. Da der Fortgang der Geschichte wegen des gemächlichen Veröffentlichungstempos in die Länge gezogen werden dürfte, muss sich der Leser wohl oder übel auf ein kleinportioniertes Lesevergnügen einstellen. Lohnen wird sich das Warten aber allemal.

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