Dienstag, 20. März 2012

Nicholson Baker: Die Fermate


Nicholson Baker, 55jähriger Romancier und Essayist erfreut sich gerade mit dem Haus der Löcher (z.B. hier schriftlich und da als Video), seinem neuen Roman der großen Aufmerksamkeit des Feuilletons, da mich aber die Story des neuen Werkes nicht so interessiert, habe ich mal etwas älteres aus dem Archiv gekramt. Baker ist vielleicht der einzige aktuelle Romancier, der in der Sprache der Pornographie (der Verdacht liegt nahe das dirty Talk ein richtiger Fetisch von ihm ist) anerkannte, doppelbödige und auch durchaus schöne Romane zu schreiben versteht.



In Die Fermate geht es um den Ich-Erzähler Arno Strine, einen recht erfolglosen Akademiker, der sein Geld mittlerweile als Zeitarbeiter mit dem abtippen von diktiertem Schriftverkehr verbringt. Seine Erfolglosigkeit hat aber einen Grund, denn er hat Probleme sich auf seine Karriere zu konzentrieren, da ihn seine besondere Fähigkeit ständig ablenkt. Er kann also, zum Beispiel mit einem Fingerschnippen, dem Heraufschieben der Brille, einem Rolltorschalter u.ä. die Zeit anhalten bzw. wie er es doppeldeutig nennt, in die Furche gehen. Das heißt so richtig hält die Zeit gar nicht an, sie wird nur für ihn und seine Aktionen durchlässig, steht aber für alle anderen. Arno hat sich angewöhnt, seine Fähigkeiten eher ungewöhnlich zu nutzen:
Ich weiß daß ich meine Gabe wahrscheinlich viel besser nützen könnte, als ich es tue. Für mich ist sie lediglich ein sexuelles Hilfsmittel. Andere würden, aus Habsucht oder geistigem Antrieb, größeren Nutzen daraus ziehen.
Also zieht er Frauen aus, arrangiert pikante Überraschungen, schreibt versaute Kommentare in Bücher, die jemand in seiner Nähe kaufen will, verschenkt Dildos und hilft sich selbst dabei, einige Vorteile beim Kennenlernen und flirten zu ergattern. Außer das er ziemlich regelmäßig zur Masturbation kommt, scheint ihn die Fähigkeit aber nicht wirklich voranzubringen. Seine Beziehungen sind eher wenig erfolgreich, die letzte scheiterte als er seine Freundin über Umwege für seine Fähigkeit begeistern wollte. Arno träumt sich also durch das Leben hat aber immerhin damit begonnen, seine Autobiographie zu schreiben. 

In der Art dieser Autobiographie ist auch der Roman angelegt, Arno springt von Erinnerung zu Erinnerung, erzählt wie er seine Fähigkeiten entdeckte und beschreibt diverse erotische Abenteuer. Natürlich macht er sich auch über die moralischen Fragen seiner Taten Gedanken:
„Die Frage, ob ich da etwas Unrechtes tue, ist berechtigt, […] Ich finde ganz ehrlich nicht, daß ich etwas Unrechtes getan habe. Bewusst habe ich noch nie jemandem Leid zugefügt. […] Ich meine es gut. Aber ich weiß, daß es gut zu meinen keineswegs eine befriedigende Rechtfertigung ist." 
Im Grunde muss man aber auch als Leser zugeben, dass seine Erlebnisse zwar in Wahrheit moralisch zu verurteilen wären im Rahmen einer solchen Fantasie aber vergleichsweise harmlos und häufig regelrecht liebevoll sind. Ganz im Gegenteil, seine Erlebnisse haben etwas traurig stimmend Distanziertes, sie strahlen Einsamkeit und Angst vor Intimität aus:
„Wenn man einsam ist, macht man sich Gedanken über das Leben anderer, ist man höflicher zu denen, mit denen man flüchtig zu tun hat, werden Ironie und Zynismus gedämpft. Das Innere der Furche ist natürlich der Ort äußerster Einsamkeit schlechthin, und da gefällt es mir. Doch es gibt Zeiten, da nimmt der Wunsch nach den Stimmen anderer, nach erwiderter Freundlichkeit unangenehme Formen an und wird zu einer Art lähmendem Schmerz.“
Auf fast rührende Weise versucht er Frauen in seiner Nähre manchmal heimlich, manchmal offen zu seiner Art der Erotik, die in seiner visuell distanzierten Art ebenso männlich wie pornographisch ist, zu bekehren. Seine selbst geschriebenen Geschichten, die sich in der Hauptsache um Dildos und Selbstbefriedigung von Frauen drehen, gehören dabei zu den explizitesten und häufig sogar sehr obszönen Teilen des Buches. Dort wird weder an Körpersäften noch an lautmalerischen Beschreibungen von Organen und Praktiken gespart. Wie nicht anders zu erwarten, trifft er damit, vielleicht auch wegen seiner Methode, sie den Frauen irgendwie heimlich unterzujubeln, nicht nur auf Gegenliebe. Die Lösung dieses Problems ist dann leider ziemlich vorhersehbar: Er muss sich überwinden und seine Phantasien offen teilen.

Die Furche, mit ihrer beobachtenden Ausrichtung, die Selbstbefriedigung, die Passivität alles Äußeren, steht hier natürlich als Bild für Pornographie allgemein, die in ihrer Möglichkeit ohne sich öffnen zu müssen sexuelle Erregung zu finden nur ein scheinbarer Ausweg und damit Grund seiner Einsamkeit ist. Da auch fast der gesamte zwischenmenschliche Verkehr in Arnos Phantasie wie auch in seinem realen Leben mit Spielzeug und Selbstbefriedigung verbunden abläuft, merkt auch Arno, dass wohl etwas nicht stimmt und fühlt sich dazu gezwungen sich zu verteidigen:
„Bin ich ein entfremdeter Mensch? Mancher, der bis hierher gelesen hat, könnte das meinen; mancher könnte meinen, daß einer, der auf das ekstatisch schielende Orgasmusgesicht einer unbekannten Frau spritzt, ohne daß sie sich dessen bewusst ist, doch ein entfremdeter Mensch sein muss – oder noch etwas Schlimmeres. […] Ich habe keinen kaputten Affekt. Ich bin freundlich und liebenswert. Hin und wieder gehe ich mit einer Frau aus. Ich habe sogar mehrere Freunde.“
Die Selbstverteidigung ist angesichts der Romanhandlung und die Art seiner Selbstverteidigung sicher kontraproduktiv, da man die gestellte Frage wohl nur mit: „Ja, was denn sonst.“ beantworten kann. Somit ist das Buch neben den durchaus vorhandenen erotischen Momenten eine erstaunlich sanfte Ode für Intimität, für Vertrauen und Offenheit und gegen das einsame Rubbeln auf der anderen Seite einer Mattscheibe. Keine sehr komplexe Botschaft, dazu zeitweise recht derb aber insgesamt sympathisch vermittelt. Der Roman ist literarisch keine Offenbarung aber eine interessante Abwechslung und gute Unterhaltung. Wer es etwas verkopfter mag aber auch zum Thema „Männer und Distanz“ ein literarisches Werk sucht, dem sei nicht zum ersten Mal auf diesem Blog David Foster Wallace mit „Kleine Gespräche mit fiesen Männern“ empfohlen.

Ach, eine Frage bliebe da noch: Ist das auch ein Buch für Frauen? Also da wäre ich mir nicht so sicher, wobei der Text an sich keinen erwachsenen Menschen abschrecken muss aber ich fürchte, genau wie die ein oder andere Dame im Buch könnten auch Leserinnen feststellen, dass es sich eher um männliche Phantasien handelt aber vielleicht bin mit der Meinung auch zu unmodern.

2 Kommentare:

  1. Die Idee hab ich bereits mal als eine Verfilmung gesehen: Cashback (http://www.amazon.de/Cashback-Sean-Biggerstaff/dp/B001251S8A/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1332542531&sr=8-1)
    Der Film lohnt sich, geht ebenfalls sensibel mit dem Thema um (er hat zudem noch diese besondere Art britischen Humors). Die paar Frauen mit denen ich den geschaut habe beurteilten den Film dann aber leider doch nur als Pornographie *sigh

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  2. Mmhh, stimmt und der klingt sogar ganz gut, vielleicht werde ich das mal versuchen.

    Mein Kommentar zur Sicht von Frauen war auch nicht zufällig, während VOX von Nicholson Baker allgemein gelobt wird (obwohl er wohl nicht weniger explizit ist), habe ich in Bezug auf den weiblichen Geschmack für die Thematik des Buches und damit auch des Films große Zweifel. Die Idee Frauen heimlich auszuziehen und zu begaffen ist pornographisch und hat dabei etwas ziemlich ehrverletzendes. Ich vermute Männer sehen das lockerer weil es auch etwas sehr Anbetendes, Ehrendes, quasi als Ausgleich hat aber das lässt sich Geschlechterübergreifend wohl eher schwer transportieren.

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