Freitag, 18. Mai 2012

Nicholson Baker: Vox


Nicholson Baker, der hier schon einmal Thema war, rauscht nun mit dieser Novelle über Telefonsex erneut in den Blog. Vox, lateinisch für „Stimme“, ist noch etwas älter als die Fermate, stammt aus dem Jahr 1992 und besteht aus einem 188 Seiten langen, am Telefon geführten Dialog zwischen einem Mann und einer Frau über Intimität, Masturbation, Sex und Phantasien rund um diese Themen. Ein durchaus gewagter Ansatz, der aber zumindest insofern gelungen ist, als das er als literarischer Durchbruch des Autors gilt.


 
Jim und Abby lernen sich in einem offenen telefonischen Chatroom kennen und begeben sich von dort in ein geschlossenes Separee, dort beginnen sie sich, steigernd, mit größter Offenheit zu erregen. Für beide ist diese Kommunikation Teil ihrer Fantasien, beide sind große Fans der Masturbation und beide genießen die Abseitigkeit ihrer Begegnung sehr.
„Ich glaube, man kann wohl mit Fug und Recht sagen, dass dich masturbierende Frauen interessieren,“ sagte sie."
„Jede Frau, die irgendwo masturbiert – von allen will ich wissen. Keine Frau, die nicht schön wäre, wenn sie masturbiert."
Trotzdem erkennen sie auch Schwierigkeiten sich in dieser Situation gegenseitig anzutörnen. Für beide entsteht ein Teil ihrer Erregung aus die Erregung des Partners, da es aber geschlechterspezifische Unterschiede über die Vorstellung einer gelungenen Phantasie gibt, wechseln sie sich mit dem erzählen ab und erfinden auch freimütig dies und jenes hinzu. Die eigentlichen Phantasien werden immer wieder durch Ruhephasen unterbrochen, in denen diverse Themen aus dem Leben der beiden zur Sprache kommen. Diese Struktur könnte einer weiblichen Erregungskurve nachempfunden sein und bestimmt aber auf jeden Fall den Aufbau, das Ende und damit den Höhepunkt der Geschichte.

Das hört sich spannend an und ist es teilweise auch, leider benötigt die Novelle viele Seiten, um in Schwung zu kommen, da hätte aus meiner Sicht eine Kürzung gut getan. Weil der Autor bemüht ist ein breites Spektrum an Vorlieben abzudecken, zünden sicher nicht alle Ideen bei jedem Leser. Sehr viel Mühe steckt in typischen Frauenphantasien, diese Teile sind teils sehr schöne surreale und traumhafte Sequenzen mit schnellen Schnitten, die nur einzelne Bilder von expliziten Szenen aufblitzen lassen. Besonders skurril ist eine Phantasieszene der Frau, in der sie sich in einer Wand feststeckend, gleichzeitig von drei Handwerkern bemalen und bespielen lässt. Die männlichen Phantasien bedienen sich, wie schon in „Die Fermate“, häufig Masturbationsbildern und Erzählungen, die ihren Reiz aus der Übertretung gesellschaftlicher Anstandsformen ziehen. So überredet er eine Kollegin, auf die aus Fermate bekannte hintergründig überkomplexe Weise dazu, mit ihm auf dem Sofa sitzend einen Porno zu schauen und sich dabei selbst zu befriedigen. Kern der Phantasie ist wieder, der Frau bei der Erregung zuzusehen, dabei aber passiv zu bleiben. Viele der männlichen Bilder wirkten auf mich ähnlich bekannt.

In den expliziten Szenen beschleunigt Baker den Text angenehm aber in den Pausen dazwischen fällt er in einen langatmigen Stil, in dem er über Alltagsdinge in langen Sätzen, geringen Inhalts ins Schwafeln gerät, das nervt auf Dauer ein wenig. Die lange Einführung soll ihre Erotik sicher auch aus dem  Bruch ziehen, das Intimitäten, die man ansonsten für sich behält, hier einem Fremden anvertraut werden. Das gelingt in Situationen, in denen man sich selbst wiedererkennt, misslingt aber in Bildern die in das Absurde getrieben werden.

Zusammengefasst ist das ein durchaus interessantes Experiment, es lebt aber vom eher kleineren Teil, in dem die Szenen explizit sind und mit einer gelungenen Bildsprache modelliert wurden. Der Rest zieht sich dagegen zu sehr in die Länge. Frauen kommen im Gegensatz zu „Die Fermate“ in dieser Erzählung aber mehr auf ihre Kosten. Trotz der guten Idee war das erst einmal mein letzter Versuch mit Nicholson Baker, die Texte sind mir insgesamt zu ähnlich in ihrer Ausrichtung.                   
     

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen