Sonntag, 23. Juni 2013

Cordwainer Smith: Was aus den Menschen wurde

Der unter dem Pseudonym Cordwainer Smith arbeitende Autor hat sich seinen Namen durch Kurzgeschichten gemacht, die er in Fantasy- oder SciFi-Zeitschriften veröffentlichte. Seine Erzählungen stachen aus der Masse heraus. Sie waren nicht die kurzen, leicht verdaulichen Häppchen mit spannender Handlung und dichter Atmosphäre. In seinen Geschichten geht es mal um lang andauernde Verwicklungen und mal um einen ganz kurzen Ausflug. Nicht selten blättert man die letzte Seite um und zuckt entweder ratlos mit den Schultern oder man bemerkt, dass einem die Kinnlade offen steht.

Die Geschichten in diesem Sammelband spielen alle im selben Universum - nur zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Seit unserer jetzigen Zeit sind etwa 13.000 Jahre vergangen (gemäß der Angaben in “Modell Elf”). Die Menschen haben Planeten kultiviert und sich selbst weiter entwickelt. Mit chemischen Cocktails können sie ihr Leben verlängern, sie haben neue Spezien geschaffen und teilen ihre Gesellschaft in verschieden hoch angesehene Kasten. Neben den Wahren Menschen gibt es Untermenschen, welche genetisch veränderte Tiere in menschlicher Gestalt darstellen. Gehirne von Tieren oder verstorbenen Menschen können in Robotern eingesetzt und für verschiedene Zwecke oder Aufgaben genutzt werden. Die Kommunikation per Telepathie gehört zum Alltag und eine große Hürde des Lebens besteht darin, möglichst schnell zwischen den Planeten zu reisen. Der Weltraum selbst ist lebensfeindlich - nicht nur durch die enormen Distanzen, die in ihm überwunden werden müssen sondern auch aufgrund einer (nicht näher erläuterten) aggressiven Weltraumstrahlung.
Es liegt nicht in der Natur von Smith, die Funktionsweise all seiner Überlegungen bis ins letzte Detail zu erklären. Er lässt den Leser zu gern im Unklaren, deutet an und lässt die Geschichten so enden, dass man Vielerlei hinein interpretieren kann. Wichtige Ereignisse, denen er in einer Geschichte seine Aufmerksamkeit schenkt, tauchen in späteren Geschichten wieder auf. Das Geschlecht der Vomacts zum Beispiel entspringt den Kindern eines Wahren Menschen und dreier Jetztmenschen, die im Kälteschlaf im Weltraum verbracht haben (“Modell Elf” und “Die Königin des Nachmittags”). Von da an spielen Nachfahren der Vomacts und die von ihnen mitgegründete Regierung namens Instrumentalität immer wieder eine Rolle.


Der Weltraum mit seinen ungeheuerlichen Ausdehnungen und gefährlichen Strahlungen, der für die Menschen eigentlich unüberwindbar ist, spielt immer wieder eine wichtige Rolle. So erfindet der Autor die Habermänner, die einzig dazu da sind, um menschliche Passagiere durch den Weltraum zu befördern. Bei ihnen handelt es sich um Menschen, denen auf schauerliche Weise Nervenbahnen durchtrennt wurden, sodass sie weder fühlen, schmecken, noch hören können. Die derart verstümmelten Männer können alle Vitalfunktionen mit Hilfe einer elektronischen Box in der Brust bewusst steuern und gehorchen in Ermangelung eines Gefühls nur noch dem Gesetz der reinen Logik (“Scanner leben vergebens”). Auf diese Weise sind sie in der Lage, den Leiden der Weltraum-Reisen problemlos zu ertragen.
Nicht weniger gräulich stellt sich die Ausbildung von Piloten dar, die mehrere Jahrzehnte allein in einem engen Cockpit leben müssen, um ein Raumschiff zu steuern. Damit die Piloten nicht wahnsinnig werden, wird ihr gesamtes Vitalsystem und die Gehirnaktivität stark gedrosselt, sodass sich die Zeit der Reise für sie nur ein paar Monate anfühlt - jedoch mit dem Unterschied, dass sie als Jünglinge starten und betagte Herren ankommen (“Die Lady, die mit der Seele segelte”).
Smith erschafft Zustände der ungeheuren Freiheit (Menschen leben Jahrhunderte lang, können telepatisch kommunizieren und Gegenstände durch Zeitmaschinen schicken) neben denen lebensverachtende Grausamkeiten in Koexistenz auftreten. Die Unterdrückung der Untermenschen, die bei Sichtung ohne Federlesen abgeschlachtet werden dürfen (“Die tote Lady von Clowntown”) oder die Beschreibung eines Verteidigungsmechanismus, der den Angreifer dazu bewegt, sich selbst lebendig zu verspeisen (“Die klainen Katsen von Mutter Hudson”), stellen zwei der erschütterndsten Fantasien dar. Blutrünstig geht es dabei nicht zu, eher... medizinisch analytisch. Unheimlich bleiben die Ideen trotzdem.
Immer wieder tauchen seltsame Begriffe auf, die der Autor nicht näher erläutert. Der Vorgang des Planoformens ist ein fundamentaler Bestandteil des Weltraumreisens und sein Sinn wird dem Leser nur allmählich ersichtlich.  Aus dem Weltall tauchen manchmal gefährliche Angreifer auf, die aufgrund ihrer äußerlichen Ähnlichkeit offenbar als Drachen bezeichnet werden und nur von ausgebildeten Katzen erledigt werden können (“Das Spiel Ratte und Drache”). In einer Geschichte ist währenddessen die Rede von einer Kraftquelle namens Congohelium, von der Klänge und Licht ausgeht ohne ihre Bestimmung zu erfahren (“Unter der alten Erde”).

Manche Mysterien werden in mehreren Geschichten wieder und wieder aufgegriffen, sodass sich der Leser allmählich die Fragezeichen in seinem Kopf mit Antworten (oder vielmehr Ideen von Antworten) füllen kann. Anderes jedoch (wie die Sache mit den Drachen) erscheint einmal und dann nie wieder. Der Leser bleibt zurück mit den Gedanken “Was zur Hölle war das eigentlich gerade?”



Wie bereits angedeutet ist Cordwainer Smith kein Fan langer, ausschweifender Erklärungen. Ihm genügt es, einen mysteriös anmutenden Begriff in den Raum zu werfen, der als eine Art Black Box dient und den er so behandelt, als sei er gemeinhin bekannt. Manche Settings erklärt er mit viel Detailliebe und Bedacht auf Ungewöhnlichkeit. Beispielsweise stellt er fest, dass die besondere Strahlung eines Sterns auf dem Planeten alle weiblichen Zellen karzinogen werden lässt (“Verbrechen und Ruhm des Kommandanten Suzdal”). Er erläutert, wie sich die Lebewesen anpassen und wie sie zu den wahnsinnigen Kreaturen wurden, die sie sind. Dies ist aber nicht der Regelfall und fällt zweckdienlich aus. Die Geschehnisse seiner Geschichten beschreibt er nüchtern und sachlich. Wortgewaltige Bilder, die den Leser in Emotionen einhüllen und mitreißen, findet man in diesen Kurzgeschichten weniger. Meist liefert er nur die reinen Informationen und die unheimlichen Bilder bauen sich im Kopf des Lesers zusammen. Wer Witz möchte, muss eine längere Suchzeit einplanen und sich auch mal mit Schäkereien zufrieden geben, die man Mathematikern unter ihresgleichen zutrauen würde.
“Fangen wir ganz von vorn an. Dieser Mann ist hier. Doch er kann eigentlich gar nicht hier sein, denn niemand kann splitterfasernackt von den Sternen zurückkehren und nach einer Reise durch den äußersten Weltraum so sanft im Central Park landen, dass er bei der Landung nicht einmal die winzigste Schürfwunde davonträgt. Deshalb befindet er sich nicht in diesem Zimmer, und Sie und ich reden über irgendetwas anderes, und es gibt nicht das geringste Problem. Ist das richtig?”“Nein”, antworten sie im Chor.Ich wandte mich Grosbeck zu, der von beiden am halsstarrigsten war. “Dann also auf ihre Weise. Er ist dort - erste Prämisse. Er kann nicht dort sein - zweite Prämisse. Wir existieren nicht. Q.e.d. Gefällt Ihnen das besser?” (S. 284)
Obwohl Smith kein Autor ist, der den Leser mit trivialem Gefasel den Schlafsand in die Augen streut, schwellen manche seiner Kurzgeschichten gern auf Romanlänge an (>100 Seiten), deren Inhalt sich im Nachhinein mit beeindruckend wenigen Worten zusammenfassen lässt. Hierbei entsteht doch die eine oder andere Durststrecke, da Smith sich aus solchen Lapalien wie Spannungsbogen oder vielversprechenden Ausblicken auf den möglichen Fortgang der Handlung nicht die Bohne schert. Er erzählt einfach, was der Reihe nach passiert... und dann ist die Geschichte irgendwann zu Ende. Schade. Gerade bei der Fülle der Geschichten in diesem Sammelband fällt diese Eigenheit der Cordwainerschen Geschichtenerzählung zwangsläufig negativ auf. Aus diesem Grund lasse ich den Sammelband nun erst einmal ruhen und werde die übrigen acht Geschichten des stolzen 1049-seitigen Werkes später fortsetzen.

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