Samstag, 29. Oktober 2011

Arkadi&Boris Strugatzki Buch 1 (die Maxim Kammerer Trilogie)

Tja wenn Stanislaw Lem der Urvater der osteuropäischen Science Fiction des 20. Jahrhundert ist, dann sind die Strugatzki Brüder wohl die Pop Stars des Genres. Im westeuropäischen Ausland sind ihre Werke weniger bekannt aber mit einer Auflage von ca.: 50 Millionen Exemplaren allein in Russland gehören Sie dort zur Pop-Kultur. Damit haben sie zweifellos auch maßgeblich die momentan bekannteren russischen Science Fiction Schriftsteller wie Dimitri Glukhovsky (der auch das Vorwort des ersten Buches verfasst hat) und Sergej Lukianenko beeinflusst.

Dem ein oder anderen wird der Name vielleicht einmal beim Computerspiel S.T.A.L.K.E.R untergekommen sein, dass auf Elementen aus „Picknick am Wegesrand“ einem Roman von 1972 basiert, die Handlung aber in die verstrahlte Zone von Tschernobyl verlegt hat. Die Brüder Strugatzki haben bis zum Tod von Arkadi 1992 fast alle ihre Romane gemeinsam geschrieben insgesamt sind so mehr als 40 Romane und Erzählungen erschienen, die aber nicht alle übersetzt und wenn doch, zum Teil nur von der sowjetischen Zensur zerstückelt vorlagen. Dies wird nun mit dieser Werkausgabe korrigiert und dabei hoffentlich auch die Bekanntheit der Werke in Deutschland erhöht, verdient hätten Sie es auf jeden Fall.
Bei dem Roman den ich hier vorstellen möchte handelt es sich um den ersten Teil einer kompletten Werkausgabe in der 3 Romane zusammengefasst werden, die zwischen 1969 und 1985 erschienen, gemeinsam die sogenannte Maxim Kammerer Trilogie bilden. Die Erzählungen bestehen nun so weit wie möglich aus den unzensierten Originaltexten (speziell der erste Teil war stark verstümmelt) und sind neu übersetzt. Zu dieser wie zu allen weiteren Ausgaben (bisher sind 4 Bände erschienen) gehören Vor- und Nachwörter mit Informationen zur Biographie der Schriftsteller, Details zur neuen Übersetzung, Fußnoten und Erläuterungen. Die Handlung aller Teile in diesem Buch dreht sich um die Figur Maxim Kammerer, dieser Maxim arbeitet in der ersten Erzählung als Erkunder bei der Raumflotte einer zukünftigen Erde und durchläuft in den beiden zeitlich folgenden weitere Stufen auf der Karriereleiter nach oben dann direkt auf der Erde.
Maxim strandet nach einem Unfall mit seinem Ein-Mann-Raumschiff zu Beginn der ersten Erzählung „Die bewohnte Insel“ auf einem ihm unbekannten Planeten und muss sich dort allein herumschlagen. Auf dem Planeten existieren mehrere menschliche Zivilisationen in einer Postatomkriegswelt. Er ist im Gebiet einer ziemlich heruntergekommenen Militärdiktatur, die aber einen sowohl unerklärlichen als auch unheimlich starken Reiz auf ihre Bewohner ausübt, gestrandet. Niemand scheint das System in Frage zu stellen, alle Bewohner singen mehrmals am Tag scheinbar zwanghaft patriotische Lieder und kämpfen, arbeiten und sterben ohne Widerstand. So lernt er erst mit der Zeit einige wenige Menschen kennen die unbeeinflusst sind von dieser „Propaganda“ dafür aber vom System verfolgt werden. Die Geschichte macht immer wieder große Sprünge in denen Sie Maxim an alle Ecken dieser schauderhaften völlig verkommenden Welt reisen lässt. So erfährt er deren Geschichte erlebt weitere zerstörerische Kriege und lüftet auch das schreckliche Geheimnis dieser Nation. Am Ende steht er vor der Frage in wie weit er eingreifen kann und ob der das überhaupt soll denn diese Welt stellt sich Stück für Stück komplexer dar als er so richtig überblicken kann. Das diffizile Gleichgewicht das sich dort herausgebildet hat gerät aber scheinbar bereits durch seine bloße Anwesenheit ins Schwanken. So gerät er schnell in Auseinandersetzungen die bis in die höchsten Bereichen der Administratur reichen.
Ein Mann stand am Tor
die Tiere davor.
Er nahm sein Gewehr,
und sie lebten nicht mehr.
Verse eines kleinen Jungen aus „Ein Käfer im Ameisenhaufen“
Die beiden anderen Erzählungen drehen das Prinzip Beeinflussung anderer Welten dann geschickt herum. Maxim arbeitet auf der Erde in einer Geheimdienst ähnlichen Organisation und muss zusammen mit der Regierung erkennen das auch die Erde möglicherweise nicht unbeeinflusst von außerirdischen und ihr wiederum überlegenden Zivilisationen ist. Ist die Erde im ersten Roman noch der perfekte fast paradiesische Ort der im starken Gegensatz zu dieser Alptraumwelt des ersten Romans steht, bilden sich im zweiten „Ein Käfer im Ameisenhaufen“ erste Risse in dieser Fassade. Der Geheimdienst verfolgt einen Mann über den gesamten Planeten den man für beeinflusst durch die „Wanderer“ einer mysteriösen hochentwickelten aber irgendwie ungreifbaren ja unsichtbaren Rasse hält. Dabei ist man sich des moralischen Dilemmas dieser ganzen Jagd durchaus bewusst aber Angst und Misstrauen treibt die Operation trotzdem immer weiter an. Im dritten Teil „Die Wellen ersticken den Wind“ wird aus der Sicht des gealterten Maxims und anhand gesammelter trocken bürokratischer Berichte und Dokumente die groß angelegte Ermittlung einer Sonderkommision nach Spuren einer direkten Beeinflussung dieser „Wanderer“ rückwirkend rekonstruiert. Das Ergebnis wird aber zu einer großen Überraschung die alles in Frage stellt was diese Gesellschaft aufgebaut hat.
Das übergeordnete Thema aller drei Erzählungen ist die Frage nach der Legitimation von Beeinflussung des der eigenen Überzeugung nach Weiterentwickelten und danach was diese Beeinflussung mit dem Kleineren in einer früheren Phase der Entwicklung stehenden tut. Alle Romane kommen ohne Action im eigentlichen Sinn aus und lassen immer ein recht offenes und nachdenklich stimmendes Szenario zurück. Der Schreibstil wechselt mit den Romanen vom bildhaften oft derben Jargon der traurigen Revolutionäre des ersten Romans über den gediegenen Stil der aufgeklärten Moralisten im Zweiten Buch, zum bürokratisch trockenen Ton des letzten Romans. Jede Variante hat ihren Reiz und passt sich der Handlung perfekt an. Das ist angenehm zu lesen ohne zu langweilen, dass große Nachdenken setzt hier immer erst nach den Romanen ein.
Insgesamt wird hier beste Science Fiction in einem spanenden Szenario geboten, dass Probleme grundsätzlicher Moral in einer fernen Zukunft spiegelt. Der Moralische Zeigefinger bleibt dabei trotzdem immer gesenkt nicht zuletzt weil sich alles an diesem herrlich menschlich fehlbaren Maxim abarbeiteten kann. Die Strugatzkis überlassen dem Leser das Weiterdenken und erzählen lieber scheinbar unschuldig Geschichten die eine ungeheure Spannung aufbauen aber am Ende trotzdem irgendwie offen bleiben ohne einen dabei aber enttäuscht zurück zu lassen. Alle Szenarien sind ungewöhnlich und gut durchdacht. Auffällig ist aber speziell im ersten Teil das die Gesamtbotschaft immer im Vordergrund steht und sich die Strugatzkis im Zweifel auch Lücken leisten, weil sie ein größeres Ziel vor Augen haben, einen klassischen Abenteuerroman sollte man also nicht erwarten. Was nicht dem Plan dient wird hier gnadenlos weggelassen.
Fazit: Tolle Science Fiction die einen noch lange grübeln lässt.

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