Freitag, 13. Juli 2012

David Foster Wallace: Unendlicher Spaß


Lange habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, wie sich dieses Monument an schriftstellerischem Schaffen von David Foster Wallace in die kurzmöglichste Form fassen lässt. Ich bediene mich hierfür der Zusammenfassung des Übersetzers Ulrich Blumenbach, der dies in einem Satz bewerkstelligte:

Der junge Tennisspieler Hal Incandenza und der Ex-Junky und Ex-Kriminelle Don Gately werden in eine nationale Krise verstrickt in deren Verlauf Kanadische Separatisten und Terroristen versuchen die US-Amerikanische Gesellschaft zu destabilisieren, in dem sie einen Film der tödlich lustvoll oder komisch sein soll, ins Fernsehnetz einspeisen.

Überhaupt muss man der Übersetzerleistung hohen Respekt zollen! David Foster Wallace war bekannt für seinen unglaublich umfangreichen Wortschatz. Und dieser Wortschatz beschränkt sich nicht nur auf ein spezifisches Themengebiet, nein er umfasst gefühlt sämtliche Themengebiete, angefangen beim (Film)Technischen, schlägt er dem Leser Therapeutenjargon, Ärzte-Fachwissen, Suchtmittel-Informationen aller Couleur um die Ohren. Gewürzt wird das Ganze mit stellenweise schon absurd anmutender Gossenlyrik und nicht zu vergessen die nicht enden wollenden Tennis-Ausführungen. Ich kann mir bei letzteren wirklich nicht vorstellen, dass es viele Leser gibt, die dabei nicht abgekürzt haben.


Wer indes schon immer mal wissen wollte, wie sich ein kalter Entzug anfühlen muss, hat bei der Lektüre gute Karten, in den Genuss der wohl eindrücklichsten Schilderung diesbezüglich zu kommen. Ich gehe sogar soweit, zu sagen, dass man beginnt, sein eigenes Suchtverhalten und das seiner Umwelt zu überdenken respektive zu beobachten. Wahrscheinlich wird man gelegentlich Parallelen feststellen.

Sehr interessant fand ich den, gerade bei Don Gately eingebauten, sogenannten Bewusstseinsstrom; Gedankengänge, wie sie verquerer nicht sein könnten und, macht man sich die Mühe der Reflektion eigener Gedankengänge, durchaus nachvollziehbar und realistisch. Die Wahl des Erzählers ändert sich zum Ende des Buches; sicher um den Gemütszustand der betreffenden Person besser beschreiben zu können.

Wallace beschrieb in diesem Buch, welches zum Zeitpunkt des Entstehens fiktiver Natur war – er vollendete es 1996 und beschrieb rein rechnerisch die Zeit um 2009, die unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen. Dies ist für einen Gesellschaftsroman Voraussetzung, jedoch beschreibt er es in einer Intensität, die mir zeitweise die Nackenhaare aufstellte. Klar sehe ich im örtlichen Stadtzentrum Menschen sitzen, die morgens um sieben der (vermutlich) ersten Flasche Bier frönen. Die Beweggründe dafür sind mir nicht bekannt. DFW beschreibt ebendiese Schicksale. Er stellt eine ganze Reihe abgeknickter Lebensläufe vor. Niemals hebt er den Finger, niemals verurteilt er dabei. Aber die Beschreibungen der jeweiligen Lebensläufe sind so authentisch, dass man die Angst riechen und die Verbitterung der einzelnen Akteure schmecken kann. Ich taumelte während des Lesens zwischen Mitleid, Ekel und Wut hin und her. 

Auf der anderen Seite ist eine gewisse tragische Komik der einzelnen Figuren nicht zu überlesen. Dem Buch schwingt ein humorvoller Unterton mit – humorvoll jedoch niemals abwertend. Wer kann beispielsweise beim ersten Lesen mit den Worten Prottsehnen1, batorielle Ammonie2 oder señorío3 etwas anfangen?! Derlei Sachen sind auch nicht in den 388, teils seitenlangen, Fußnotenerläuterungen erklärt ;o)

Zusammenfassend kann ich allen unschlüssigen Lesern nur Folgendes schreiben: dieses Buch ist eine Herausforderung. All denen, die nicht nur mit dem Strom der heutigen Gesellschaft schwimmen oder ihren Kopf nicht nur zum Tragen einer Kopfbedeckung befähigt sehen, allen die gern mal „über den Tellerrand sehen“, kann ich dieses Buch empfehlen. Es liest sich nicht „nebenher“, sondern ist ein hartes Stück Arbeit.

Hilfreich wäre sicher als Einstieg in die Sprach- und Schreibgewalt von David Foster Wallace etwas Kürzeres wie „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ oder „Am Beispiel des Hummers“ zu lesen. Und wer da erst einmal Feuer gefangen hat...



1 Prothesen
2 vermutlich: bakterielle Pneumonie - Lungenentzündung
3 Szenario

3 Kommentare:

  1. Ein schöner Text, auch wenn der Trick, Ulrich Blumenbachs Zusammenfassung zu borgen, so clever wie gemein ist. Ich bin mir nicht sicher ob er diese Komprimierung nicht auch ein wenig als Persiflage auf die Unmöglichkeit einer kurzen Erklärung gemeint hat.

    Ja, so empfand ich es auch: Das Geheimnis des Romans ist das erkennen und aufzeigen der Komik in der Tragik der Süchtigen. Das zeigt vor allem unser aller Sucht, unsere kleinen und großen Abhängigkeiten von Unterhaltung, Betäubung und Belohnung. Wie viele Menschen würden wohl den Film freiwillig ansehen? Unendlicher Spaß zum Preis der Selbstaufgabe, gibt es diesen „Film“ nicht schon längst und wie viele sehen ihn sich tagtäglich an? Wenn man Urlaub nimmt, um sich zum Erscheinen eines Spiels freie Zeit zu erkaufen, um diese dann 12h pro Tag in kleine Erfolgserlebnisse umzutauschen, ist man dann noch frei?

    Aber meine wahren „Lieblinge“ in diesem Buch sind die geistig und körperlich Abhängigen, die alten Krokodile unter den anonymen Alkoholikern, so allein, so zerbrochen und so ausgeschlossen und doch kämpfen sie um etwas das keinen Wert mehr hat. Sie kämpfen um ihre Freiheit, für die sie sich nichts mehr kaufen können, die ihr Leben nicht mehr verbessern kann. Genauso gut könnten sie aufgeben aber sie wissen wie sie dann sterben würden: mit dem Gesicht nach unten. Mikeys Rede vor den AA, ist der Moment in dem man versteht wozu Glauben gut ist und das er einen retten kann. Ich empfand Glauben immer als schwieriges Konstrukt das sich meinem Verständnis mehr oder minder vollständig entzog aber hier… Vielleicht lebt diese fundamentalistische Sichtweise, dieser Drang wieder nach fremden Regeln zu leben, gerade wegen der alltäglichen Belohnungssucht wieder auf.

    AntwortenLöschen
  2. Gerade weil Ulrich Blumenbach seine Zusammenfassung so persifliert dargestellt hat, fand ich es als Teaser überaus treffend :D

    Du schreibst: "Sie kämpfen um ihre Freiheit, für die sie sich nichts mehr kaufen können, die ihr Leben nicht mehr verbessern kann."
    Das sehe ich etwas anders. Wenngleich im übertragenenen Sinne gemeint, kann man sich ein besseres Leben nicht kaufen. Das wird den Menschen nur suggeriert. Die Geschichten der Abhängigen zeigen doch eines ganz klar: dass sie schon vorher an irgendeinem Punkt an der Gesellschaft zerbrochen sind.
    Ist es tatsächlich Glaube, der da Einzug erhält in den AA? Don Gately erweckt bis zu Schluss nicht den Eindruck eines Gläubigen. Durch fortwährendes Repetieren der AA-Sprüche hält er sich von den Drogen fern. Er weiss ja selbst nicht, warum das funktioniert und findet es ja auch irgendwie doof. Aber er macht es, weil es zu den Regeln gehört.
    Es lebt sich offenkundig leichter, wenn man "fremdbestimmt" wird. Im Falle der AA verständlich, jedoch begegnet man tagtäglich Menschen, die unfähig sind, sich selbst treu zu sein. Das ist ja auch alles andere als einfach, und heute muss alles einfach sein. Es erfordert die Fähigkeit zur Selbstkritik und -reflexion. Ein fremdbestimmtes Leben bedeutet immer auch ein stückweit, anderen die Schuld geben zu können, wenn etwas schiefgeht.

    AntwortenLöschen
  3. Touché

    Oh absolute Zustimmung, ich sehe das Problem aber daran das sie tatsächlich bereits an der Gesellschaft zerbrochen sind, und dann auch alles zerstört haben was sie darin verband. An diesem Punkt an dem sie nun stehen, werden sie kaum eine Chance haben noch einmal neue Strukturen zu schaffen, die man gemein als erstrebenswert ansehen könnte. Sie haben tatsächlich alles verloren und sie werden es nicht wiederbekommen, gerade diese Sinnlosigkeit sollte doch ihre Bemühungen trocken zu bleiben konterkarieren aber stattdessen haben sie etwas Neues gefunden.

    Und da sind wir bei der Religion. Ich finde das Verhalten Aller, hat ganz starke, ja fundamentalistische Züge (was nicht heißt das hier klassisches Christentum gelebt wird, es ist eher eine selbstgemachte Variante davon), und ja Don Gatley ist davon wenig, wenn nicht sogar gar nicht betroffen aber vielleicht zeigt das die autobiographischen Züge DFWs in ihm. So wie Hal DFW als Kind, scheint mit Don DFW als Erwachsener und sogar als Zukunftshoffnung, als Hoffnung auf Rettung. Im Gegensatz zu den Krokodilen hat er ja noch Zukunft und er geht eher in der Arbeit als in den Mantras der AAs auf, auch wenn diese ihm dabei helfen.

    AntwortenLöschen