Montag, 19. Dezember 2011

Michael Weins: Lazyboy



„Ich lebe ein gefährliches Leben. Jetzt bin ich hier. Im nächsten Moment kann ich ganz woanders sein. Ein Schritt nur. Das hat mit den Türen zu tun.“
Klappentext Michael Weins: Lazyboy

Ein Roman über die Ohnmacht seine Ziele zu bestimmen. Eine Geschichte über einen der doch nur in Ruhe gelassen werden will und nun auf dem Weg zur Morgentoilette im Möbelhaus landet.





 Michael Weins ist ein 40jähriger Schriftsteller und Psychologe aus Hamburg, zu dem ich aber gar nicht so viel schreiben muss, denn, wie das heute so üblich ist hat er eine kleine aber schöne Webpräsents mit allem notwendigen Wissen und einigem lustigen Zeitvertreib obendrauf. Dort findet man auch Leseproben aller Romane zum Beispiel aus Lazyboy und auf keinen Fall sollte man vergessen auf „Bastel dir deinen Michael Weins.“ zu klicken das macht ihn nicht schöner ist aber launig.

Dann also direkt zum Buch: Hauptfigur und Ich-Erzähler ist Heiner Boie mit Künstlernamen Lazyboy seines Zeichens Ex DJ, Musikkritiker und Berufsjugendlicher mit Angst vor dem Alter.

„Einmal passt du nicht auf und schon bist du Ernst Dieter Müller, sitzt auf dem Rasenmähertraktor, tuckerst über den Vorortrasen, und durch die angelehnte Terrassentür hörst du den Säugling schreien.“

 Somit bleibt Lazyboy so jung wie man das mit 35 Jahren noch sein kann, vermeidet Verantwortung und macht immer nur so viel, das sich gerade nicht so viel ändert, zum Beispiel seiner langjährigen Freundin Monika einen Heiratsantrag, weil die ihn sonst verlassen hätte. Nur das Zusammenziehen und Kinder konnte er noch vermeiden. Das soll schon einigen jungen oder eben weniger jungen Männern so gegangen sein aber Lazyboy passiert eines Tages etwas wirklich Ungewöhnliches. Von einem Tag zum anderen beginnt ein Phänomen, dass ihn hin und wieder, ohne das er es kontrollieren kann beim Durchschreiten einer Tür nicht auf die andere Seite, sondern an einen völlig anderen Ort, zum Beispiel Würzburg, bringt.

Von da an wird er noch unzuverlässiger als er eh schon war, das ist anfangs lustig weil er seine Freundin in der langweiligen Disko stehen lassen kann, um ein paar Runden im zufällig erreichten Schwimmbad zu drehen, wird mit der Zeit aber immer belastender, da seine Ausreden und das Verständnis seiner Mitmenschen mit jedem Sprung rapide zurückgehen. Als der Druck zu groß wird sucht er schließlich Hilfe, zuerst bei einem Allgemeinarzt dann bei seinen heißgeliebten Drogen, einem Türenhersteller, einer sehr attraktiven Psychologin und schließlich bei einem 13jährigen Mädchen. Ein 13jähriges Mädchen? Nun bei einem unfreiwilligen Abstecher auf die schwäbische Alp begegnet er der ziemlich frühreifen Daphne:

„Ich wachse mit Facebook und Youtube auf, alter Mann. Als Kleinkind habe ich zum Einschlafen MTV geguckt. […] Ich bin das Produkt einer durchglobalisierten Jugendkultur, du bist wohl eher vom Dorf, so wie ich das sehe.“

 Die ist nicht nur erwachsener als er selbst, sondern sie besitzt auch eine Tür, eine besondere Tür die an einen besonderen Ort namens Beek führt . Dort leben Doppelgänger seiner Frau und seiner Psychologin, die Jahreszeiten wechseln täglich aber das Leben steht still, dreht sich unendlich im Kreis. Die Einwohner sind unsterblich und altern nicht aber sie sind getrennt von ihren Dorfnachbarn. Beek ist ein geteiltes Dorf durchschnitten von einer unüberwindbaren Mauer und damit vom Lauf des Lebens getrennt. Lazyboys Kommen ist angekündigt in den Schriften des Dorfes, denn er ist der „Mittler“.
Als wenn das noch nicht genug wäre, hat Monika einen Unfall und fällt ins Koma. Dann wird auch noch Daphne von dunklen Männern bedroht und alle Verantwortung liegt auf Lazyboys Schultern. 

Michael Weins legt hier einen klassischen Coming-of-Age Roman, eine Geschichte über das Erwachsenwerden vor. Das es sich beim Ich-Erzähler um einen 35jährigen handelt fällt dabei gar nicht auf, ja es passt irgendwie in die moderne Zeit. 

„Flucht und Verweigerung sind heutzutage ja eigentlich das angemessenste Statement, das einer oder eine geben kann.“ 

So wie die Angst zu versagen:

Die Frau, […] unzufrieden mit sich selbst und dem Leben, vor allem aber mit mir, weil ich nicht genug bin, weil ich überhaupt nicht weiß, wie das geht, so ein Leben. Keinen Willen, keine Ziele. Die totale Entfremdung.

Lazyboy wird auf sehr ironische Weise mit zunehmend abstrusen Problemen konfrontiert, die immer mehr die Frage aufwerfen, ob er sich endlich dem Leben stellen kann oder ob er im zeitlosen versumpft. Die Bilder die sich im ersten manchmal auch erst im zweiten Hinsehen entpuppen, zeigen die Mauern in uns und um uns, die Lächerlichkeit der zwanghaften Jugendkultur, Frauen mit Zielen und Männer im Wind. Das das nicht Oberlehrerhaft wirkt ist dem feinen Witz geschuldet mit der Lazyboy sein wanken durch das Chaos kommentiert, den rauschhaften Bildern und der Spannung die mit jeder neuen Verrücktheit steigt. Spannung darauf, dass dies alles noch irgendwie rund wird und nicht ziellos bleibt wie der Protagonist.

Der Schreibstil ist ein wenig anstrengend, da hier konsequent die eigene Sprache des Ich-Erzählers genutzt wird, das führt zu viel direkter Rede und manchmal zu umständlich wirkenden Gedanken, ist aber trotzdem nie trivial. Das Erzähltempo ist anfangs, mit vielen Schnitten die den vielen Stationen seiner Sprünge entsprechen, sehr hoch, um dann in Beek abzusinken und fast ein wenig zu versauern, wie die gelangweilten Dorfbewohner selbst. In diesem Teil machen sich ernsthafte Befürchtungen breit das dies alles in einer Hollywoodhaften Charakterwendung des Lazyboys unbefriedigend endet aber glücklicherweise wird man nicht enttäuscht. Michael Weins bringt am Ende alle Fäden auf überraschend schlichte Weise befriedigend zusammen und für den der mag, bleibt auch noch etwas zurück an dem man knabbern kann, dass nicht entzaubert.

Also knapp gesagt, das ist ein tolles Buch. Und an alle Frauen: Wenn euer Partner noch zu jung für Philip Roths Die Demütigung ist, dann ist dieser, im übrigen auch schön gestaltete Roman, vielleicht das richtige Weihnachtsgeschenk für ihn aber Vorsicht mit plötzlichen Heiratsanträgen müsst ihr selbst klarkommen. 

2 Kommentare:

  1. Unweigerlich kam beim Lesen der Rezension das Bild John Cusacks als Rob Gordon in High Fidelity auf...
    Es klingt sehr interessant, zumal man selbst manchmal Probleme hat, seinen Weg zu finden oder sich fragt, ob der Weg, den man beschreitet der richtige ist ODER sich an seinem Umfeld orientiert und feststellt, dass man irgendwie anders lebt, als der Rest.

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  2. Mmhh ja das ist auch Nick Hornbys großes Thema, speziell der 35j Will und der 12j Markus aus „About a boy“ (Warum verd… funktionieren in den Kommentaren eigentlich keine Links?) könnten Vorbilder für Lazyboy und Daphne gewesen sein.
    Michael Weins ist aber erheblich ambitionierter, er will nicht nur eine kleine schöne aber letztlich doch seichte Geschichte erzählen, er mag es stilistisch und im Gesamtkonzept anspruchsvoller und glücklicherweise geht das am Ende auch auf.

    Bei Nick Hornby hat man manchmal den Eindruck er würde beim Schreiben bereits an die Verfilmung denken. Zugegebenermaßen kommen dabei aber auch tolle Filme heraus.

    Was die „Wegfindung“ angeht ist hier Lazyboy ziemlich eindeutig platziert da er unzweifelhaft unglücklich ist, die Türen sind ja auch eine Art Flucht umso gemeiner, da er sie nicht kontrollieren kann. Er leidet sichtlich ohne sich selbst befreien zu können und Breek ist mit der zeitlosen Verantwortungslosigkeit zwar eine Versuchung aber auch eindeutig eine vergiftete.

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