Freitag, 30. Dezember 2011

Philip Roth: Täuschung



Es ist ein Spiel mit doppeltem Boden unter einem doppeltem Boden, ein Spiel um Autobiographisches, ein Spiel um schriftstellerische Freiheit, ein Verwirrspiel. Was darf man einem Schriftsteller glauben und was darf er schreiben? Er darf Geschichten erfinden aber darf er auch die Wahrheit erzählen und was ist wenn er die Lüge in die Wahrheit verpackt oder die Wahrheit in die Lüge? Wird das dann ein großer Spaß oder eine kräftige Ohrfeige?




 
Über Philip Roth werde ich wohl analog zu D.F.Wallace noch einmal einen eigenen Beitrag verfassen, die wenigen Worte aus „Die Demütigung“ müssen also erst einmal reichen.
Ach, und noch etwas bevor ich anfange: Ich habe beschlossen bei diesem Roman kein Geheimnis um das Ende zu machen, da sich aus meiner Sicht die Tiefe des Buches anders nicht erklären lässt. Wer also seine Spannung bewahren will ist hier falsch, sei aber auch gewarnt denn einiges erschließt sich, zumindest nach meiner Meinung, nicht beim ersten Lesen, somit ist es fast zwingend das Buch zweimal zu lesen.  

Bei „Täuschung“ handelt es sich um einen kurzen Band von 167 Seiten, auf Deutsch erschienen 1993, der komplett in Dialogen geschrieben ist. Die Story ist eigentlich ganz einfach: Ein Schriftsteller transkribiert die Gespräche eines ehebrecherischen Pärchen vor und nach dem Akt, was zum Streit mit seiner Frau führt (also die des Schriftstellers). Das war es eigentlich auch schon. Wobei, etwas komplizierter wird es dann doch noch, da sich Philip Roth die Erklärungen, „Wer“ „Was“ spricht, komplett gespart hat und weil der Mann, der vom Schriftsteller transkribiert wird, auch noch selbst Schriftsteller ist und seiner Geliebten zwischendurch Details einer von ihm erdachten Geschichte erzählt. Somit entstehen verschiedene Erzählebenen in denen ganz bewusst unklar bleibt wie sich die Realität zu diesen Szenarios verhält.

Aber gehen wir mal nur die wichtigste Ebene detailliert durch. Das Liebespaar besteht aus dem jüdischen Schriftsteller Philip und einer namenlosen Frau, die sich regelmäßig in seinem Arbeitszimmer zum Sex und vor allem zum Gespräch einfinden. 

„Ich höre zu. Ich höre. Ich bin ein écouteur – ich bin audiophil. Ich bin ein Gesprächsfetischist.“

Er hört also zu und so erzählt die Frau entsprechend mehr, ihre Ehe ist zerrüttet, nur noch die Angst vor dem Ärger und den finanziellen Problemen einer Scheidung hält das Gebilde zusammen. Sexuell läuft wohl auch nichts mehr. Auch ihn als Liebhaber hat sie scheinbar gerade darum angeschafft, weil ihr Mann eine Geliebte hat.

„Da sagte ich, vergessen Sie’s, es geht eigentlich darum: Er hat diese herrliche Situation, in der er genau das tun kann, was ihm gefällt, und ich habe entdeckt, dass es eine furchtbar ungewöhnliche Situation ist, und wenn ich für mich nicht auch so etwas zustande bringe, dann kann ich gleich aufgeben.“

Er hat da schon bessere Gründe. Er genießt, ja schwelgt in ihrer Exzentrik um sie aufzuschreiben und zu fiktionalisieren, hat was sich und seinen Teil der Affäre angeht, klare Prioritäten:

„Vielleicht funktioniert es besser, wenn in einer ehebrecherischen Affäre nur ein Teilnehmer über häusliche Unzufriedenheiten klagt. Wenn beide damit anfangen, dann dürfte für die Sache selbst wirklich nicht viel Zeit übrigbleiben.“

Also mit Ausnahme der Dinge die ihn wirklich bewegen, wozu seine Ehe im Übrigen nicht zu gehören scheint. Ja, tatsächlich erregt er sich gern über gefühlten oder auch tatsächlichen Antiamerikanismus und Antisemitismus in England und verleiht seiner Sehnsucht nach dem gelobten Amerika Ausdruck. Die mehr persönlichen Klagen der Frau erreichen dagegen den Ersatz einer Sitzung beim Psychiater und sind so übergeigt, dass man sie konstruiert nennen kann und den Verdacht erwecken nicht nur eine Vorlage zu besitzen sondern eine Verquickung verschiedener Frauen zu sein. 

Die so erstellten Gespräche führen zum Streit auf der übergeordneten Ebene und zwar zwischen dem Schriftsteller und möglichen Schöpfer von Philip und Co. und seiner Frau, die diese transkribierten Gespräche selbstverständlich für real hält und somit von einem Ehebruch ausgeht. Auch seine Beschwichtigung, sich das alles nur auszudenken, macht es für sie nicht besser. Die Frau, die ihn kurz nach Veröffentlichung anruft und sich zum Teil in diesen Gesprächen wiedererkennt, schwankt zwischen Begeisterung und Ablehnung, da sie sich einerseits zu armselig dargestellt sieht und andererseits den Stolz die Heldin des Romans zu sein nicht genießen kann, da sie nicht eindeutig genannt ist. Unumwunden gibt er ihr gegenüber zu, dass er sich einige künstlerische Freiheiten und Hinzunahmen geleistet hat.
Die Frage die dieses Konstrukt der Täuschung aufwirft, ist die Frage nach der Freiheit des Schriftstellers. In wie weit ist es ihm gestattet Realität und Fiktion beliebig zu vermengen? Den Lesern kann das sicher eher egal sein aber wir verhält es sich mit Bekannten, Freunden und Ehepartnern. Was empfindet man wenn man lesend der (erfundenen?) Geliebten vorgestellt wird und ist denn nicht selbst die Erfindung, das differenzierte Erträumen einer anderen Frau, irgendwie Betrug? Darf man das Leben der Anderen überhaupt weiterdenken? Was ist in einem Roman überhaupt biographisch und was sagt das über den Schriftsteller? 

Manche Schriftsteller leben von diesen Missverständnissen, da bereits der Verdacht der Realität Skandale produziert, die für Verkaufszahlen sehr förderlich sein können. Aber macht es überhaupt einen Unterschied, ob Philip Roth nun auf junge Studentinnen steht oder John Irving von Tomboys träumt? Vielleicht ist es vernünftiger, sich bewusst von den Schriftstellern abzuwenden und zu ihren Werken hin. Die ständige Vermengung von Werk und Person hat ihren Siegeszug in Politik und Pop längst angetreten, lassen wir also wenigstens die Schriftsteller im Dunkeln.

Das wäre jetzt ein schönes Schlusswort gewesen aber irgendwie fehlt noch eine Bewertung: Tja, das ist kein leichtes Buch, auch eher kein Philip Roth Einsteiger aber die Mühe ist es durchaus wert. An manchen Stellen ist es unglaublich komisch, diesen exzentrischen Personen zu lauschen, einiges ist aber auch sehr weit weg. Die Gedankenwelt der New Yorker Upperclass erschließt sich mir zum Bespiel nicht immer, auch einige Dinge aus der spezifisch jüdischen Gedankenwelt sind schwierig nachzuvollziehen, speziell da ich die Romane rund um „Nathan Zuckermann“ noch nicht gelesen habe aber Der menschliche Makel liegt schon auf dem Stack, vielleicht wird dann einiges deutlicher.

Der Schreibstil ist wie gewohnt sehr angenehm, detailliert aber nicht überfrachtet. Ganz besonders muss man hervorheben, dass in jedem Satz die Persönlichkeit und der Stil der Person gepackt wurde, so dass man die Personen auch ohne weitere Informationen recht problemlos auseinanderhalten kann, das macht mit der Zeit richtig Spaß. Man kann sich auf das Buch also durchaus einmal einlassen.

 „Das habe ich verstanden. Das habe ich verstanden. Es ist eine so seltsame Geschichte.“
„Ich weiß. Kein Mensch würde sie glauben.“

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