Freitag, 25. November 2011

Philip K. Dick: Der unmögliche Planet

Hier ist ein Autor, der die Mittel des Genres bis zum philosophischen Äußersten treibt. Bin ich ein Mensch oder bin ich nur so programmiert, daß ich glaube, ein Mensch zu sein? Wie sicher kann ich mir meiner eigenen Gedanken und Emotionen sein? Wer manipuliert mich und zu welchem Zweck? Wieviel von dem, was wir "Realität" nennen, existiert dort draußen wirklich? (Sascha Mamczak im Vorwort)


Das Buch beinhaltet eine Sammlung von dreißig Kurzgeschichten (eine komplette Liste der enthaltenen Geschichten finden Sie hier). Einige davon haben bereits in ihren Verfilmungen Popularität erlangt, beispielsweise Der Minderheiten-Bericht ("Minority Report"), Erinnerungen en gros ("Total Recall"), Der Hochstapler ("Impostor") oder Variante zwei ("Screamers"). [Quelle]

Thematisch schafft es Dick, so ziemlich alles mögliche in Frage zu stellen, was unser Leben ausmacht und Was-wäre-wenn-Experimente zu spielen ohne Furcht vor gesellschaftlichen Tabus. Sehr gern beschäftigt er sich mit dem Krieg und besonders mit dem, was nach dem Krieg kommt. Vorrangig spielt er mit dem Gedanken, was geschehen wäre, wenn aus dem Kalten Krieg zwischen Sowjets und Alliierten von heute auf morgen ein richtiger Krieg geworden wäre. Seine Utopien gelangen oft zu dem wenig beruhigenden Schluss, dass die Welt völlig von Asche und Schutt überzogen ist. Die Waffen werden außerdem intelligenter, furchteinflößend:
Die Menschen können auf der zerstörten Oberfläche nicht mehr leben, haben sich in unterirdische Höhlensysteme zurück gezogen. Den Krieg auf der Erde übernehmen derweil intelligente Bleimänner. Wie wird es mit den Menschen weiter gehen? Und vor allem: Tun die Bleimänner wirklich das, wozu sie konstruiert wurden? (Die Verteidiger)

Endzeitstimmung kommt bei Dicks Geschichten nicht nur auf, wenn er sich mit dem Thema Krieg beschäftigt. Die Frage, was ein Mensch ist und wie sicher man sich seines eigenen Mensch-seins sein kann, wirft er in bedrückenden Geschichten auf. Wie die Geschichte eines wissenschaftlichen Mitarbeiters, der urplötzlich von seinen Kollegen verdächtig wird, ein Roboter zu sein, der eine verheerende Bombe in sich trägt. (Der Hochstapler)
Wie sieht es mit der Moral und Ethik des Menschen aus - selbst wenn er ein ausgewiesener Nicht-Roboter ist? Werden Übervölkerung und Nahrungsknappheit die Achtung vorm Menschen soweit aushöhlern, dass man Kindern unter zwölf das Recht auf Leben aberkennt - weil sie noch keine Seele haben? (Die Präpersonen)

Klassische dystopische Staatsformen haben hier ihren Gastauftritt mit allem, was dazugehört: Herrscher-Attrappen, Halluzinogen-verseuchtes Trinkwasser, Gleichschaltung. Ein beliebtes Motiv von Dick, was er in vielen Geschichten immer wieder verwendet, ist der Konsumirrsin und die damit verbundene Ausbeutung der Umwelt. So erzählt er von automatischen Kinder-Nannys, die plötzlich von ihren Herstellern mit Waffen ausgerüstet werden, um gegeneinander zu kämpfen und sich zu Schrott zu hauen, anstatt Kinder zu betreuen. (Nanny)
Der Leser unternimmt Ausflüge in die menschliche Psyche, fragt sich mit den Protagonisten, wer von ihnen nun eigentlich paranoid ist (Verwirrspiel) und erlebt die künstliche Welt eines Menschen, der sich so stark für einen begangenen Fehler schämt, dass er sich von der Realität völlig abnabelt. (Schuldkomplex)

Nicht zuletzt muss sich Dick als gebürtiger Science Fiction Auto natürlich auch der Frage stellen, wie man sich Außerirdische vorstellen könnte. Und ob man es riskieren sollte, einen von außerirdischer Hand gebauten Flippertisch zu bespielen, der währenddessen die Hirnströme des Spielers abscannt. (Rückspiel)
Am allerwichtigsten, für die Tierfreund unter uns: Was denkt ein Hund eigentlich, wenn er völlig ohne jeden erkennbaren Grund stundenlang vor sich hin bellt? (Roog)


Der Sammelband schlägt insgesamt nur selten einen zuversichtlichen Ton an. Es ist oft von Krieg die Rede, Automaten außer Kontrolle und alle Sorten von Alpträumen, die man sich so vorstellen kann. Wer sich stark von solcher Literatur herunter ziehen lässt, der sollte die Kurzgeschichte lieber sehr wohldosiert lesen (der Band ist 830 Seiten dick). Für alle Fans von Gedankenspielen jedweder Art bietet das Buch viel Abwechslung - auch wenn das Kriegsmotiv zuweilen überdurchtschnittlich oft zum Zuge kommt. In nahezu allen Kurzgeschichten steckt eine unglaublich starke Grundidee. Dick schafft es, die richtigen Dinge in Frage zu stellen und den Faden so weiter zu spinnen, dass dem Leser während der Geschichte ein kalter Schauer über den Rücken läuft. Man wünscht sich ganz ehrlich, dass man - sollte die Realität wirklich nur eine Täuschung sein - nie etwas davon erfahren möge.

Die Sprache Dicks ist gut verständlich, nur ab und zu gebraucht er wissenschaftlich klingende Erklärungen mit Fachjargon (oder was der Laie dafür hält). Trotzdem sollte man beim Lesen aufpassen. Gern endet eine Geschichte an einer Stelle, an der das Weiterdenken des Lesers erst das ganze Grauen offenbart.

Fazit:
Ein beklemmendes Was-wäre-wenn-Spiel. Wohldosiert genießen (Empfehlung aus eigener Erfahrung).

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